© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/19 / 25. Januar 2019

Landwirte sehen rot
Grüne Woche: Deutsche Kulturlandschaften sind vom Ausverkauf bedroht / Heimische Vielfalt bewahren
Mathias Pellack

Moltebeeren gelten in Skandinavien als Delikatesse und sind sehr vitaminreich, erklärt mir die finnische Verkäuferin. Sie werden von Hand gepflückt und wachsen hauptsächlich in Mooren nördlich des 54. Breitengrads. Dementsprechend schwer seien sie auch zu ernten. „Mal eine Beere hier pflücken, mal da. Für ein Kilo bekommt man dann sieben bis zehn Euro“, erklärt sie am Stand der Grünen Woche, noch bis Sonntag in Berlin läuft.

Das sei der höchste Preis, den Abnehmer für Beeren aller Art bezahlen. Doch wird davon wohl niemand reich. Die Beeren sehen aus wie Brombeeren, mit denen sie auch verwandt sind. Ihre Farbe ist aber leuchtend orange. Sie sehen ganz lecker aus – das sind die kleinen Fruchtkörper aber tatsächlich nur mit ausreichend Zucker. Ein landwirtschaftlicher Anbau findet so gut wie nicht statt. Trotzdem sind sie den Finnen so wichtig, daß sie die Fruchtstände sogar auf ihrer Zwei-Euro-Münze abbilden.

180 regionale Apfelsorten allein aus Rheinland-Pfalz

Ausstellerländer wie Marokko mit Datteln, Rumänien mit Wein oder die Ukraine mit ihrer Vielfalt an Kornprodukten müssen sich eine Halle teilen. Aber das diesjährige Partnerland Finnland bekommt wie jedes Bundesland Deutschlands eine eigene Halle auf dem Messegelände unterm Funkturm.

Rheinland-Pfalz tischt 220 verschiedene regionale Ostsorten auf, wovon allein 180 Äpfel sind: groß, klein; gelb, rot oder grün; mit glatter Schale oder mit einem leichten Flaum. Eine regionale Vielfalt, die auch andernorts bedroht ist. Der Präsident des Deutschen Bauernbundes (DBB) Kurt-Henning Klamroth klagt über die deutsche Landwirtschaftspolitik. Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) schütze den Wirtschaftszweig, der Deutschland ernährt, zuwenig vor ausländischen Übernahmen. In seiner Heimatregion im Harz beispielsweise besitze ein Finanzinvestor, der von Haus aus nichts mit Landwirtschaft zu tun habe, viele Parzellen. Immer mehr Land werde an Chinesen und Amerikaner verkauft, die wenig Sinn für lokale Gegebenheiten haben. „Wer als Pächter etwas gegen die Interessen des Eigentümers sagt, dessen Pacht läuft dann aus. Und dann war’s das“, sagt Klamroth. Diese Vorgehensweisen erinnern ihn stark an die Verhältnisse in der DDR. Andere Meinunge werden unterdrückt. Auch das Sterben vieler Dörfer sieht Klamroth damit im Zusammenhang. Die Mehrzahl der Arbeiter wird nur noch im Frühjahr oder zum Herbst eingestellt. „Den Rest des Jahres müssen die dann woanders hinziehen.“

Die Landwirtschaft sei in Sachsen-Anhalt der größte Wirtschaftszweig, sowohl vom Umsatz als auch von der Zahl der Beschäftigten. „Doch die Eigentümer sitzen oft ganz woanders.“ Somit fließe ein Großteil der Rendite aus der Region ab. Sofern es eine Rendite gebe. Denn der Jahrhundertsommer 2018 hat die Landwirtschaft stark geschädigt. Die Zeit von April bis Oktober war die trockenste in Deutschland seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die Pflanzen vertrockneten während allerorten neue Hitzerekorde aufgestellt wurden. Klamroth schätzt die Ernteschäden auf mehr als das Dreifache wie bei der Dürre von 2003.

Der Bauernbund setzt sich heute wie damals für eine Entschädigung der freien Landwirte ein. „2003 lief die Verteilung ungerecht.“ Die einzelnen bäuerlichen Betriebe hatten einen erheblichen Nachteil gegenüber Eigentümern wegen der Einrechnung persönlicher Vermögenswerte. Dieses Mal sei es dem DBB gelungen, genügend Druck zu machen, damit auch die Vermögenswerte der Gesellschafter als Ausgleich für die Verluste herangezogen werden können.

Problematisch ist auch, daß die Preise für Weizen, Mais und Milch auf einem sehr niedrigen Stand sind. „Die Kurse sind derart volatil, daß niemand mehr sagen kann, wie sie morgen sein werden.“ Die Börsenkurse seien seit 2012 um bis zu ein Drittel eingebrochen. Die regionale Dürre schlägt so doppelt so hart zu. „Am ehesten könne man bei den Preisen noch einen Zusammenhang mit dem Rohölpreis erkennen.“ Es entbehrt nicht einer makaberen Ironie, wenn Bauern gegenwärtig höhere Gewinne erzielen, die ihren Weizen verfeuern – selbst wenn sie zweieinhalb mal soviel Getreide wie Heizöl für dieselbe Menge Energie brauchen.

Kritik findet der Bauernbund auch an der deutschen Bürokratie, die in den Augen Klamroths unternehmerische Initiativen stark hemmt. „Österreich ist da ein Vorbild.“ Unsere südlichen Nachbarn verfolgen eine risikoaffine Politik. „Dort wird nicht alles vorab verboten, was nur schiefgehen könnte. Dort wird geschaut, wenn etwas passiert ist, wie geht man damit um.“ So bleibe dem Einzelnen mehr Freiraum für privatwirtschaftliche Initiativen. Mehr Raum für Vielfalt.