Der 26. Januar ist von der Weltzollorganisation (WZO) zum „World Customs Day“ erklärt worden, also zum Ehren- und Aktionstag der Zöllner und ihrer Institutionen in aller Welt. Warum denn auch nicht? Tag für Tag werden wir doch geradezu überschüttet mit Nachrichten über neue und alte Zölle, der Fall ist zum Thema Nummer eins der großen Politik geworden, ganze ausgedehnte Sozialbewegungen hängen davon ab, der (friedliche oder aggressive) Umgang von Staaten miteinander. Trotzdem blieb die Sache bisher eindeutig im Schatten der Wissenschaft und der öffentlichen Aufmerksamkeit. Es war, als schäme man sich irgendwie der Zöllnerei, als handle es sich um eine Art neuartiger Raubritterei.
Die WZO ist beileibe keine Unterorganisation der Uno. Sie wurde Anfang 1953 von 17 europäischen Ländern unter dem Namen „Brüsseler Zollrat“ gegründet, genoß aber keineswegs stets das ungetrübte Wohlwollen der späteren EU-Kräfte. Kunio Mikuriya aus Japan, ihr heutiger Generalsekretär, hat sich um sie sehr verdient gemacht. Mittlerweile gehören ihr 180 nationale Zollverwaltungen an. Neben dem Streben nach einer „Harmonisierung“ des internationalen Handels ist es Herrn Mikuriya vor allem darum zu tun, „grenzüberschreitende Wirtschaftskriminalität“ zu bekämpfen.
In der Tat ist ja die Zöllnerei jener Staatsbereich, über dessen moralische Grundsätze und über dessen Moralität insgesamt man sich schier endlos streiten kann. Was für die einen freche Wegelagerei und purer Diebstahl ist, erscheint den anderen als höchste ethische Verpflichtung, das Wohl des Volkes und die Stabilität des Gemeinwesens zu schützen. Es geht nicht nur um materielle Güter, sondern auch und nicht zuletzt um geistige Standards, um Ideenraub, Identität und Erfinderstolz.
Letzten Endes geht es um die Frage, ob man das alles einfach wegwischen soll zugunsten bloßen Profitstrebens und blindwütiger Gleichmacherei. Etymologische Befunde geben darüber keine klare Auskunft. Was heißt denn eigentlich „Zoll“ am Ursprung, wo kommt das Wort her und wer hat es zuerst benutzt? Die Erforscher der indogermanischen Sprachen nennen gewisse Übereinstimmungen zwischen den verschiedenen Idiomen bei der knappen Benennung eines räumlichen Grundmaßes, abgeleitet von einem Holzklotz bestimmter Größe, der bei allen Völkern gleich war.
Zoll, der Name dieses Holzklotzes, soll dann im Mittelalter des christlichen Abendlandes Eingang in das Wort gefunden haben, mit dem die Christen die ersten Zollstationen an den Grenzen zum arabischen Morgenland bezeichneten: Telonium. Diese Zollstationen waren freilich in der Hand der Araber und hießen bei denen „vom Diwan“ (spanisch aduanero). Es waren Abgabestationen nicht einfach für irgendwelche Waren, sondern für (aus abendländischer Sicht) ausgesprochene Luxusgüter: Tee, Seide, Pfeffer …
Für Mönche und andere Moralprediger bot die Konstellation willkommenen Anlaß, das Thema in fast metaphysische Dimensionen auszuweiten. Der Zoll, so predigten sie, sei nicht irgendeine zufällige, beliebige Abgabe, sondern die Abgabe schlechthin. Das lateinische Wort „telonium“ habe seinen Ursprung im griechischen „telonion“, und dieses leite sich nicht vom Holzklotz ab, sondern von „Telos“, dem griechischen Wort für Ziel, Endzweck, Erfüllung. Zollämter seien mithin vielleicht nicht selber heilige Stätten, es walte in ihnen aber doch ein Geist der Endgültigkeit, der auch auf seine Exekutoren, die Zöllner, abfärbe.
Kunio Mikuriya, der derzeitige Chef der Weltzollorga-nisation,wird es gern hören. Zöllner, welcher Statur auch immer, müssen von Beruf her ehrbare Gentlemen sein, damit die Welt einigermaßen in Ordnung bleibt. Das galt nicht nur einst im abendländischen Mittelalter, als der arme Christ durch morgenländische Gewürz- und Streichelangebote zu Großeinkäufen verführt wurde, das gilt nicht minder für heute, da man „im Westen“ nicht genug bekommen kann an billigen Batterien, schwarzen Socken und globalisierenden Algorithmen.
Alle Seiten sind gefordert, nicht zuletzt die Lieferanten, die als erste von Zöllen verschont bleiben wollen. Sie müssen endlich realisieren, daß, wer billig herstellt, nicht gleichzeitig überall billig verkaufen kann. Im Zoll, der auf gewisse Batterien aufgeschlagen wird, inkarniert sich die Unterschiedlichkeit der Lebensumstände, die Differenz der Traditionen, Mentalitäten und geschichtlichen Erfahrungen. Man kann nicht automatisch billige Preise von anderen fordern, bloß weil man selber billige Preise zahlt, man kommt damit nur jener Form von Wirtschaftskriminalität nahe, die Mikuriya so leidenschaftlich aus der Zöllnerei entfernen will.
Ähnliches wäre über das Phänomen des Gedankenraubs zu sagen, wo man ohne jede Skrupel die Ideen, Momentan-Einfälle und Arbeitstricks seiner Wirtschaftskonkurrenten übernimmt, um gleichwertig und dennoch billiger produzieren zu können. Das internationale Patentwesen ist zur Zeit viel zu unterentwickelt, um hier Abhilfe schaffen zu können. Außerdem lassen sich weder Mentalitäten noch Traditionen patentieren, man würde sich damit zu Recht nur lächerlich machen. Eine maßvolle, nach allen Seiten mit Partnern und Konkurrenten wohlabgestimmte Zollpolitik ist hier das einzige Hilfsmittel.
Wie man es auch wendet und dreht: Eine in welchem Zeichen auch immer stattfindende Abschaffung des Zollwesens und der Zöllner würde die moderne Welt vollkommen ins Chaos stürzen. Was im Gegenteil ansteht, ist eine möglichst schnelle weltweite Verzollung der Wirtschaft, ein feines Netz von zwischenstaatlichen Freihandelsabkommen, das auf örtliche und regionale Gegebenheiten einfühlsam und kenntnisreich Rücksicht nimmt.
Mit Bürokratie, gar Überbürokratisierung, muß das nichts zu tun haben. Wir brauchen künftig vielleicht einige neue Planstellen für Zöllner, was wir aber vor allem brauchen, sind gründlicher ausgebildete Zöllner nebst einer genauen Wissenschaft vom Zollwesen.