Der Kunsthändler Paul Cassirer prägte um 1900 das Wort vom „Dreigestirn des deutschen Impressionismus“. In diesem geht von Slevogts Stern das stillste Leuchten aus. Neben der kraftvollen Gebärde eines Lovis Corinth wirken seine sonnen-frohen Landschaften aus Ägypten und der Pfalz beinahe ambitionslos. Auch Liebermanns Inszenierung als Grandseigneur der Staffelei liegt dem fern, der 1914 von sich sagte: „Wenn ich nicht malen müßte, wäre ich ganz zufrieden.“
Corinth (*1858) und Slevogt (*1868) liegen im Geburtsalter ein Jahrzehnt auseinander, geradeso wie die Weimarer Dioskuren im Jahrhundert zuvor. Und wie die Standbilder von Goethe und Schiller in Weimar auf einem Sockel stehen, so werden ihre Gemälde in den Museen zumeist bis zur Ununterscheidbarkeit zusammengerückt. Auch wenn es das besagte Dreigestirn nicht gibt, denn es gehören auch Fritz von Uhde, Robert Sterl, Hans Meid und Gotthardt Kuehl zu einem solchen Sternzeichen dazu, so bleiben Slevogt und Corinth die Augenprüfer am großen Wagen des deutschen Impressionismus.
Daß im stillen Stern Slevogt uns eine ganz eigene Welt schillert, läßt eine große Ausstellung im Niedersächsischen Landesmuseum in Hannover deutlich werden. Dort strahlt er ausschließlich in seinem eigenen Lichte. Der Kurator Thomas Andratschke gibt die Absicht kund: „Wir wollen Max Slevogt in unserer Schau neu entdecken und zeigen, daß er mehr war als nur ein Schönwetterimpressionist“.
Begeisterung für Musik und Opernsänger
Das Kunstmuseum von Hannover verdankt einen großen Teil seines beachtlichen Bestandes von über zwei Dutzend Gemälden Slevogts und Tausenden von Papierarbeiten dem Sammler, Freund und Mäzen, dem Rittmeister Konrad Wrede. Der hat von 1904 bis zum Tod des Malers diesem die Treue gehalten und dabei die größte private Slevogt-Sammlung zusammengetragen. Er sei schon ganz „verslevogt“, bekannte Wrede einmal launig in einem Brief. Die Sammlung hinterließ er schließlich seiner Heimatstadt Hannover. Seit 1954 sind die Bilder Bestandteil des Landesmuseums und gaben somit den Anlaß, eine große Retrospektive zu veranstalten, zusammen mit bedeutenden Leihgaben.
Die Selbstbildnisse des jugendlichen Malers von 1887 zeigen den Münchner Kunststudenten, an dem die Leibl-Schule nicht vorbeigegangen ist, ohne Spuren in der eigenen Malweise zu hinterlassen. Von damals datiert auch seine Begeisterung für die Musik. Zeitweilig erwägt er seiner guten Stimme wegen auf Gesang umzusatteln. Der Musikliebhaber bekennt sich in den grafischen Blättern zu Zauberflöte und Don Juan, den Skizzen zur Tänzerin Pawlowna und vor allem aber in den Darstellungen des Opernsängers Francisco d´Andrade in voller Bühnenwirkung. Mit dem portugiesischen Wahlberliner war der Maler gut befreundet. Eines der drei großen Bilder, „Der schwarze d’Andrade“ aus Hamburg, wird in der Ausstellung von zwei kleineren Studien aus dem Vorbesitz Wredes flankiert.
Das Triptychon „Der verlorene Sohn“ (1898/99) wendet die zeitgemäße Malpraxis auf biblische Geschichten an, wie es zeitgleich Fritz von Uhde mit größerer Ausschließlichkeit tat. Der Verlorene kommt in fuchsartiger Wendigkeit durch die Tür des Vaterhauses geschnürt. Der Vater trägt eher den Bart eines Professoren als eines Patriarchen. Sein rotes Gewand schimmert in einer Skala von Gelborange bis Violettbraun. Auf der linken Tafel ereignet sich im Freudenhaus ein Farbgewitter. Der rote Papierlampion läßt die Berliner Mansarde zum Hafenbordell von Shanghai werden. Auf der rechten Seite hockt der Entblößte verlassen in der Dunkelheit auf einem harten Stein. Die warmen und kalten Rottöne der Gewänder und das innere Glühen bekundet die Zuneigung des deutschen Impressionismus zu Rembrandt.
Er beschwört Szenerien der Mythologie und des Eros
Der ist hier bei Slevogt so gewärtig, wie Velasquez und Giorgione in Manets Bildern. Das künstlerische Selbstbewußtsein hat hier wie dort die Konventionen abgestreift und stellt sich auf Duzfuß mit den großen Alten. Impressionismus bedeutet in diesem Sinne vor allem, frei nach Nietzsche, aus der höchsten Kraft der Gegenwart das Vergangene zu deuten. Exotisches wird unbefangen mit Naheliegendem verknüpft. Der orientalische „Frauenraub“(1905) könnte sich der umgebenden Vegetation nach zu schließen im Schilfgürtel des Wannsees abgespielt haben oder im Palmenhaus des Botanischen Gartens in Steglitz. Nur wenige Attribute verleihen dem bewegten Doppelakt erzählerische Dramatik. Der Mann mit Turban und einem pfeilgefüllten Köcher zur Seite biegt sich zudringlich über ein knapp beschürztes Weib. Einige Jahre zuvor hat der Maler im Frankfurter Tierpark die Löwen belauert und nach dem Leben gemalt. Ein schmächtiges Mädchen im roten Kleid und unter einem Ungetüm von Hut ist vor dem Gitter des Raubtierhauses wie ein schriller Papagei plaziert. Mit dem Orang-Utan Seemann hat Slevogt sich selbst als Wärter porträtiert.
Wie Corinth setzt er immer wieder dazu an, mit der gebotenen Natürlichkeit große Szenerien der Mythologie und des Eros zu beschwören. Manches Mal wirkt die Malerei wie eine Skizze, um die grafische Ausformulierung vorzubereiten. Die Entrückung des Gewöhnlichen ins Grandiose gelingt ihm am besten in dem umfangreichen Grafikwerk. Dieses ist keine Nebenarbeit, sondern in Umfang und Tiefe seiner Malerei völlig gleichrangig. Es gibt Folgen zu „Don Quijote“, „Faust“, „Lederstrumpf“, „Macbeth“ und vielen anderen Werken der Literatur. In dem Zyklus „Hektor“ ist Helena eine Kokotte der Salons von Troja. Im Berlin vor hundert Jahren zielten die Musik von Richard Strauss wie die Bilder Max Slevogts auf antike Dimensionen. Selbst Gerhart Hauptmann setzte zuletzt noch seine Atriden-Tetralogie in Jamben.
Je mehr Zeit vergeht, um so mehr tritt der redliche Ansatz dieser Bemühungen und das Beachtliche dieser Ergebnisse hervor. Großes wurde gewollt, bei aller Flüchtigkeit und Beschwingtheit der Manier. Immer noch sind wir in der banausischen Umkehr des vormaligen Banausen-Urteils befangen. Was die Betrachter damals irritierte, die frische Malweise und das anscheinend Vulgäre der gewöhnlichen Darstellungen, soll gerade darum das bleibende Verdienst ausmachen. Doch es war für die besten unter diesen Malern nur ein aktuelles Mittel und kein dauernder Zweck. Slevogt meinte selbst: „Durch Warnungstafeln bezeichnete Gebiete, die der Impressionist nicht betreten sollte, dürfen uns nicht schrecken.“ Darin unterscheidet er sich, zugleich mit Corinth, von Liebermann, der sich auf die wohldosierte impressionistische Verbrämung der Wirklichkeit zurückzieht und die Warnungstafeln immer beachtet und sogar gegen Ausbrüche verteidigt hat.
Biederkeit und Langeweile kann dem Slevogtschen Werk jedenfalls nicht vorgeworfen werden. Auch gegen Ende seines Lebens drängt er noch auf den großen Bildentwurf und bringt dadurch manche Ernte ein, deren Saaten auf den arkadischen Landschaften im Sonnenschein gar nicht zu erkennen gewesen waren. Vor dem Kriegsausbruch 1914 entstanden die Ägyptenbilder, von denen zwei aus Dresden hergeliehen sind. Als Kriegsmaler an der Westfront ist er nach einigen Wochen desillusioniert. Die düstere Mappe „Gesichte“ mit 21 Kreidelithografien entsteht 1917. In ihrer Aussage und dem zeichnerischen Vortrag rücken diese Grafiken den zeitkritischen Allegorien eines Anton Paul Weber und den dämonischen Visionen Alfred Kubins nahe. Es gibt da einen Selbstmordapparat und ein Geschwader auf Granaten reitender Todesengel.
Durch die französische Besatzung wird er im pfälzischen Neukastel festgehalten und kann erst 1920 wieder nach Berlin zurückkehren. Wandmalereien, unter anderem im Hauffsaal des Bremer Ratskellers, entstehen. Die Ausmalungen in einer Villa in Neu Cladow werden 1944 von Bomben zerstört. Es blieben die Entwurfszeichnungen und ein Mappenwerk mit Lichtdrucken davon. Gut erhalten dagegen sind die Ausmalungen im Slevogthof in Neukastel, der allerdings derzeit geschlossen ist. Ein letztes Selbstbildnis aus dem Jahr 1931 zeigt den von Krankheit mitgenommenen Künstler.
Die Ausstellung „Max Slevogt. Eine Retrospektive zum 150. Geburtstag“ ist bis zum 24. Februar 2019 im Niedersächsischen Landesmuseum Hannover zu sehen. Der Katalog (Michael-Imhof-Verlag) mit 400 Seiten kostet 39,95 Euro.