© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/19 / 25. Januar 2019

„Napoleon der Karibik“ zeigt sein wahres Gesicht
Unmittelbar nach der Revolution auf Kuba im Januar 1959 beseitigte Fidel Castro die Rechtsstaatlichkeit
Paul Leonhard

Schon zwei Monate nach dem Sieg der Revolution ließ Fidel Castro, Rechtsanwalt und Führer der „Bewegung 26. Juli“, die demokratische Maske fallen, die er sich gegeben hatte, um alle oppositionellen Kräfte und die alte Armee hinter seiner Fahne zu versammeln. Bis Anfang März galt die  Wiederherstellung von Demokratie und Rechtstaatlichkeit als der kleinste gemeinsame Nenner der revolutionären Bewegungen, die den kubanischen Diktator Fulgencio Batista am Morgen des 1. Januar 1959 zur Flucht gezwungen hatten. 

Daß mit dem Machtübergang von Batista auf Revolutionsführer Fidel Castro nicht nur ein Diktator den anderen ablösen würde, sondern es zu einer völlig neuen Qualität der Unterdrückung und Indoktrination eines Volkes kommen würde, sah damals kaum jemand voraus. Die arme Landbevölkerung hoffte auf eine Verbesserung ihrer Lebenssituation, die Studenten und Bürger auf ein Ende des staatlichen Terrors, der Korruption und auf die Wiederherstellung der bürgerlichen Rechte. 

Kuba war 1958 ein fortschrittliches und wohlhabendes Land. Es gab den Acht-Stunden-Arbeitstag und eine allgemeine Schulpflicht, Frauen durften wählen. Beim Pro-Kopf-Besitz von Kraftfahrzeugen und Telefonen lag es in Lateinamerika an zweiter, bei der Anzahl der Fernsehgeräte pro Einwohner an erster Stelle, beim Pro-Kopf-Einkommen an fünfter, bei der Anzahl der Ärzte pro Kopf an elfter. Private Kliniken und Krankenhäuser leisteten – ähnlich wie in den USA üblich – Dienstleistungen für die Armen. Etwa 3.000 Krankenhäuser hatte Batista bauen lassen. Die Alphabetisierungsrate lag bei 76 Prozent und war damit die vierthöchste.

Es galten nur mehr Recht und Gesetz der Revolution

Allerdings war der Reichtum ungleich verteilt. Während es der bürgerlichen Mittelschicht in den Städten gut ging, herrschte in den ländlichen Regionen große Armut. Und in diese trug Castro seine berühmte Alphabetisierungs- und Bildungskampagne, sorgte so für eine Abwanderung der von der Revolution begeisterten jungen Menschen in die Städte und nutzte den Idealismus der Jugend, um seine Macht zu festigen.

Menschenleben galten den Revolutionären wenig. Gleich nach ihrem Sieg wurden mit Billigung Castros Dutzende Militär- und Polizeiangehörige sowie tatsächliche und vermeintliche Unterstützer Batistas vom revolutionären Mob ermordet. Rasch stieg die Zahl der Toten auf mehr als 400, was weltweite Proteste auslöste. Castro, der noch auf seinem Zug von Santiago de Cuba im Osten nach Havanna bei einem Treffen mit Luftwaffenpiloten Straffreiheit für die Befolgung militärischer Befehle im Guerillakrieg versprochen hatte, zeigte jetzt sein wahres Gesicht: „Wir werden die Gesetze respektieren, aber die Gesetze der Revolution; wir werden Rechte respektieren, aber Rechte der Revolution – nicht die alten Rechte, sondern die neuen Rechte, die wir schaffen werden.“

Als am 2. März die Verhandlungen eines Revolutionstribunals gegen 45 wegen Völkermordes angeklagte Luftwaffensoldaten mit Freisprüchen endete, kassierte Castro, inzwischen bereits Premierminister, einen Tag später das Urteil. Entgegen den Ergebnissen der Ermittlungen des Gerichts, nach dem es bei den Luftangriffen lediglich acht Tote gegeben hatte, behauptete Castro, daß „Städte und Dörfer“ zerstört und „Dutzende von Leichen von Kindern und Frauen von Gewehrkugeln und Bomben“ getötet worden seien. Die Angeklagten seien „armselige Kreaturen“ und sollten, „wenn nicht die Todesstrafe, dann jedoch zumindest hohe Haftstrafen mit Zwangsarbeit“ erhalten: Revolutionäre Rechtsprechung stütze sich nicht auf Gesetze, sondern auf die „moralische Überzeugung“ des Volkes. So geschah es dann auch.

Vergeblich verwiesen die Verteidiger sowie die Anwaltskammern von Santiago und Havanna auf die von der Rebellenarmee 1958 beschlossenen und veröffentlichten Strafrechtsparagraphen, die eine erneute Bewertung der während des ersten Verfahrens verhandelten Tatsachen nicht zuließen. „Wenn Sie diese Jungs verurteilen, die bereits freigesprochen worden sind, dann verwandeln Sie Fidel Castro in den Napoleon der Karibik und die Revolution in eine Gewaltherrschaft“, warnte Verteidiger Carlos Peña-Jústiz, zuvor Anführer der revolutionären Untergrundbewegung in Santiago de Cuba. 

Appelle ausländischer revolutionärer Bewegungen, Castro möge ein „würdiger Bannerträger von Recht und Justiz“ bleiben, verhallten ungehört. Weitere Schauprozesse folgten. Die Angehörigen der Ober- und Mittelschicht, viele, die etwas zu verlieren hatten, verließen das Land. Bald folgten enttäuschte Revolutionäre. Peña-Jústiz, der einst einen Gefährten Castros nach dem mißglückten Angriff auf die Moncada-Kaserne 1953 verteidigt hatte, erhielt wie alle anderen Verteidiger Berufsverbot und verschwand für vier Jahre im Gefängnis.

Castro hatte ihm übelgenommen, daß Peña-Jústiz in seinem Plädoyer an den mexikanische General Porfirio Díaz erinnert hatte, der ebenfalls als Volksheld an die Macht gekommen war, um dann zu einem brutalen Diktator zu mutieren, um sich für dreißig Jahre an der Macht zu halten. Castro war noch brutaler und hielt sich fast doppelt so lange – bis 2016. 

Der von seinen willfähigen Juristen eingeführte Straftatbestand „vorstraffälliger sozialer Gefährlichkeit“ ist noch immer gültig und ein willkommenes Mittel, um lästige Oppositionelle wegen „den Normen der sozialistischen Moral widersprechendem Verhalten“ für bis zu vier Jahre in Haft zu nehmen. Der 7. März 1959, als die Piloten auf direkte Weisung von Castro zu langen Haftstrafen verurteilt wurden, sei der Tag gewesen, so der kubanische Historiker und ehemalige Mitschüler des Revolutionsführer, Luis Aguilar, an dem die kubanische Revolution starb.