Mitte Dezember wurde in Marrakesch der Global Compact for Migration beschlossen. Er sieht Einwanderung als durchgehend positiv, als „Quelle von Wohlstand, Innovation und nachhaltiger Entwicklung“. Außerdem sei sie naturgegeben und gehöre, so der Migrationsforscher Klaus Bade, „zur Conditio humana wie Geburt, Krankheit oder Tod“.
Diese Deutung ist Stand der Migrationsforschung. In der Sache ist sie grober Unfug oder Propaganda. Mobilität ist nicht der Normalfall menschlichen Lebens. Die Norm ist das Seßhafte. Weniger als ein Prozent der Weltbevölkerung sind Migranten. Denn die meisten Menschen wollen bei ihrer Familie, ihren Freunden, in ihrer Heimat und Kultur bleiben. Aber stimmen wenigstens die Behauptungen vom Nutzen der Migration als Wohlstands- und Innovationsmotor? Nein, sagt Hannes Hofbauer, österreichischer Publizist mit wirtschafts- und sozialgeschichtlichem Hintergrund. Für ihn ist Migration immer ein Verlustgeschäft.
Es ist eine erfrischende Lektüre – weil die Kritik von ganz links kommt, von einem, der auch für das Neue Deutschland oder die marxistische Junge Welt schreibt. Nicht alles ist richtig, manches – wie seine Deutung der Nationenentstehung – schlicht abwegig. Aber all das tritt zurück hinter der Unbekümmertheit, mit der hier heilige Kühe geschlachtet werden. So meint Hofbauer mit Blick auf die Tatsache, daß aus Syrien kaum Familien, sondern zu 73 Prozent junge Männer kamen: „Der Krieg, oder präziser: die Aussicht auf Wehrdienst im Krieg, mag die Männer zur Flucht getrieben haben.“ Nicht Migration stehe hier zur Debatte, sondern Desertion.
Vor allem aber gilt Hofbauers Blick der Einwanderung zur Arbeitssuche. Die spielte, weit vor Flucht und Vertreibung, immer die größte Rolle, schon in frühen Zeiten. Und deren Folgen seien, sieht man von den Profitinteressen der Unternehmer ab, weitgehend negativ. Das zeige sich derzeit in Deutschland an explodierenden Sozialkosten. Doch selbst die Masseneinwanderung qualifizierter Arbeitnehmer sorge im Zielland regelmäßig für strukturelle Arbeitslosigkeit und Lohndumping.
Auch für Herkunftsländer ist Migration ein Verlustgeschäft
So sei mit Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für Osteuropäer der Reallohn von 1992 bis 2016 nicht gestiegen – bei deutlich anziehenden Lebenskosten. In der Fleischbranche sank der Stundenlohn – dank der von Unternehmenslobbyisten über Brüssel durchgesetzten Arbeitnehmerfreizügigkeit, dank Entsenderichtlinie und trans-europäischer Leiharbeit – von 70 auf 3 Euro. Auch bei den Sozialabgaben sparten die Unternehmer – zu Lasten der Allgemeinheit. Zudem trügen Migranten dazu bei, über den Schwarzmarkt den Mindestlohn auszuhebeln. Denn auch der Mindestlohn nützt nichts, wenn der Job schwarz erledigt wird.
Gleichzeitig fragmentiere die Konkurrenz die Arbeiterschaft in In- und Ausländer. Für die pro-migrantische Haltung des DGB hat Hofbauer daher nur Spott: „Wenn Gewerkschafter Einwanderung als erfreuliches Phänomen wahrnehmen, dann haben sie entweder die Klassenseite gewechselt oder sich im Dickicht des Begriffswirrwarrs verirrt, in dem Solidarität zu einem undefinierbaren Bekenntnis verkommen ist. Denn Solidarität setzt Kollektivität und Gleichheit voraus. Bei Lohndifferenzen von acht zu eins fällt Solidarität weder bei bulgarischen noch deutschen Arbeitnehmern auf fruchtbaren Boden. Und bei völlig unterschiedlichen Lebenswelten wie von afghanischen Flüchtlingen und mitteleuropäischen Haushalten bleibt jenseits des gegenseitigen Exotismus kein Platz für solidarisches Miteinander.“
Aber auch für die abgebenden Länder ist Migration ein Verlustgeschäft. Laut IWF läge das Bruttoinlandsprodukt der osteuropäischen Staaten ohne die Migration nach 1989 um sieben Prozent höher. Denn mit der Auswanderung zerbrechen regionale und familiäre Strukturen, gehen Fachwissen und Fähigkeiten verloren. Hofbauer nennt viele Beispiele aus Polen, Portugal, Griechenland und den baltischen Staaten. In rumänischen Dörfern fehle saisonal die gesamte arbeitsfähige Bevölkerung. Kinder wüchsen ohne ihre Eltern auf, die sich in Spanien, Italien oder Deutschland verdingten. Die Gesundheitsversorgung sei zusammengebrochen. Zu Recht klage ein Beamter: „Europa hat uns zerstört.“ Doch für die neoliberalen Migrationsfreunde von EU, IWF und Weltbank ist auch das kein Problem: Sie setzten eine Liberalisierung des rumänischen Arbeitsmarktes durch. Während Tausende Rumänen im Westen arbeiten, schuften nun philippinische Näherinnen in Rumäniens Textilindustrie.
Massenmigration bedeute, so Hofbauer, fast immer Ausbeutung und Lohndumping. Wer das stoppen wolle, müsse Migration bekämpfen – und über das frei flottierende, von den Zentralbanken geschaffene Billionenkapital nachdenken, das nach Anlagemöglichkeiten suche. Hier und in der Betrachtung des Menschen als ausschließlich mobiler Kostenfaktor liege der wahre Motor der Migration. Das aber sei der Linken völlig aus dem Blick geraten. Statt Massenmigration als Zeichen der auch freihandelsbedingten Verelendung der Heimatländer zu sehen, deklariere sie sie als „Weltoffenheit“. Das sei ihr Trostpreis. „Nach ihrer kompletten Niederlage in der wirtschaftlichen Arena darf die Linke nun die dominante gesellschaftliche Doktrin definieren, die auf den Konzepten Multikulturalismus, Sorge um Minderheiten und Antirassismus basiert.“ So ergänzten sich Neoliberalismus und Migrationshype.
Auch für deren naive Befürworter hat Hofbauer noch ein paar unfreundliche Worte: Ihre Willkommenskultur sei nicht mehr als der „menschenrechtlich argumentierende Flankenschutz für globale Ausbeutungsstrukturen“.
Hannes Hof-bauer: Kritik der Migration. Wer profitiert und wer verliert. Promedia Verlag, Wien 2018, broschiert, 272 Seiten, 19,90 Euro