© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/19 / 01. Februar 2019

Gutachten des Verfassungsschutzes
Einer Demokratie unwürdig
Dieter Stein

Einerseits war es früh befürchtet worden. Andererseits erstaunlich, daß es so lange gedauert hat. Die Einschaltung des Verfassungsschutzes, um den Höhenflug der AfD zu stoppen. Es war ein effektvoll inszenierter Auftritt von Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der in Berlin vor zwei Wochen verkündete, die AfD werde als „Prüffall“ geführt. Eine 443 Seiten starke Dokumentation liege vor, die in größerem Umfang belastende Zitate aus öffentlich zugänglichen Quellen präsentiere, die Teile der AfD (Gliederungen der Jugendorganisation und die rechte Sammlungsbewegung „Flügel“) künftig sogar zu Beobachtungsobjekten mache. Jetzt ist dieser „geheime“ Bericht „versehentlich“ an die Öffentlichkeit durchgesickert.

In zahlreichen Gerichtsverfahren bis zum Bundesverfassungsgericht wurden dem Staat und seinen Institutionen enge Grenzen auferlegt, innerhalb derer er Warnhinweise abgeben darf. Behörden sind in ihrem sogenannten „Informationshandeln“ nicht frei. Sie dürfen von Politikern nicht dazu mißbraucht werden, um unter dem Signum des Ministeriums einseitig in den politischen Meinungskampf einzugreifen. Dies gilt selbstverständlich auch für den Verfassungsschutz. Selbst bei „tatsächlichen Anhaltspunkten für den Verdacht“ auf extremistische Bestrebungen darf nicht ohne weiteres öffentlich vor einer Gruppierung oder einem Medium „gewarnt“ werden. Die daraus folgende Diskriminierung bedeutet nämlich einen schwerwiegenden Eingriff in Grundrechte.

Daß der Verfassungsschutz prüft, ist sein gutes Recht. Daß jedoch ein Prüffall im Sinne einer Warnung öffentlich gemacht wird, wie im Fall der AfD, ist nicht nur ein Novum. Es ist ein massiver Eingriff in den freien Wettbewerb der Parteien. Natürlich ist den politisch Verantwortlichen bewußt, daß bereits die Veröffentlichung des „Prüffalls“ ähnlich verheerende Wirkung erzeugt bei Mitgliedern, Sympathisanten, Wählern wie die tatsächliche Beobachtung oder Erwähnung in Verfassungsschutzberichten. Das ist genau so beabsichtigt. Die nun konsequenterweise folgende, aber sich möglicherweise jahrelang hinziehende juristische Abwehr der AfD, hat man kaltblütig einkalkuliert. Semper aliquid haeret.

Im wesentlichen enthält die AfD-Untersuchung des Verfassungsschutzes heiße Luft, sogar viel Entlastendes. Zweifellos finden sich einige abstoßende und widerwärtige Äußerungen von radikalen Einzelvertretern der AfD. Diese sind aber ein Fall für die offene politische Auseinandersetzung – und kein Anlaß für die Aktivierung eines Nachrichtendienstes.

Es ist für eine souveräne parlamentarische Demokratie unwürdig, wenn der Inlandsgeheimdienst zu einer Zensurbehörde erhoben wird, um wettbewerbsverzerrend eine legitime, demokratische oppositionelle Partei zu diskriminieren.