© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/19 / 01. Februar 2019

Kein Wind, viel Jammer
Bundeswehr I: Bericht über Zustand der Gorch Fock fördert Erschreckendes zutage
Peter Möller

Wer ein Symbol für den fortgeschrittenen Niedergang der Bundeswehr sucht, kommt derzeit am Segelschulschiff Gorch Fock nicht vorbei. Der Stolz der Deutschen Marine, der als „Weißer Schwan“ auch von der Politik jahrzehntelang als schwimmender Botschafter der Bundesrepublik geschätzt wurde, ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Seit mehr als drei Jahren liegt die Dreimastbark in der Elsflether Werft an der Unterweser. 

Was Ende 2015 als planmäßige Instandsetzung des in die Jahre gekommenen Schiffes begann und nur wenige Monate dauern sollte, entwickelt sich zu einem Drama mit ungewissem Ausgang. Der Zustand des mittlerweile in seine Bestandteile zerlegten und vom Rostfraß schwer gezeichneten Großseglers sowie die Umstände, unter denen seine Sanierung vonstatten geht, steht stellvertretend für das, was in der Bundeswehr und vor allem im Verteidigungsministerium alles schiefläuft. Der Fall der Gorch Fock offenbart, daß die Wehrverwaltung derzeit offenbar nicht einmal in der Lage ist, die im Vergleich mit der Beschaffung komplexer Waffensysteme relativ überschaubare Instandsetzung eines Segelschiffs unfallfrei über die Bühne zu bringen. Schlimmer noch: Durch einen Anfang Januar erstellten vertraulichen Bericht des Bundesrechnungshofes, der der JUNGEN FREIHEIT vorliegt, steht der Verdacht im Raum, daß verantwortliche Akteure der Bundeswehr die explodierenden Kosten bei der Instandsetzung des Schiffes bewußt verschleiert und auch an anderer Stelle getrickst haben.

Zudem wird der Vorwurf erhoben, die Bundeswehr habe jahrzehntelang geschlampt. So seien die Reparaturen und der Zustand der Gorch Fock nur ungenügend dokumentiert worden. Manche Teile des auf seinen Ausbildungsfahrten stark beanspruchten Schiffes seien sogar seit 1979 nicht mehr geprüft worden, monieren die Prüfer. Dadurch seien normale Abnutzungserscheinungen vielfach nicht bemerkt worden.

Verschärfend kommt hinzu, daß es auch vor Beginn der aktuellen Arbeiten keine umfangreiche Überprüfung des Zustandes des Seglers beziehungsweise eine Erfassung aller aufgetretenen Schäden gegeben habe. Mit anderen Worten: Die Sanierung der Gorch Fock glich von Anfang an einer Reise ins Ungewisse: niemand wußte, welche Schäden das Schiff tatsächlich hatte – und damit konnte auch niemand seriös sagen, welche Kosten der Werftaufenthalt verursachen würde. 

Gefahr für Leib und         Leben der Besatzungen

Nur so ist zu erklären, daß die ursprünglich veranschlagten Kosten von zehn Millionen Euro aufgrund immer neuer entdeckter Mängel auf mittlerweile 135 Millionen Euro gestiegen sind. Die Frage, ob die Sanierung des 1958 gebauten Schiffes überhaupt noch wirtschaftlich ist – oder ob ein Neubau für den Steuerzahler günstiger wäre, konnte so nicht beantwortet werden. Doch die Versäumnisse im Unterhalt des Schiffes haben nicht nur finanzielle Konsequenzen. Die Prüfer des Bundesrechnungshofes weisen darauf hin, daß der jahrelang unerkannte bedenkliche bauliche Zustand des Schiffes eine Gefahr für Leib und Leben der Stammbesatzung und der Offiziersschüler bedeutet habe.

Doch auch als in der Werft nach und nach der desolate Zustand des Segelschulschiffs deutlich wurde, lief einiges falsch. Als aufgrund der Kostensteigerung im Januar 2017 und nochmals im März 2018 Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) über den Fortgang der Arbeiten und damit über die Freigabe zusätzlicher Gelder entscheiden mußte, tat sie das aufgrund fehlerhafter beziehungsweise falscher Angaben, die ihr vorgelegt worden waren. Das wird besonders bei der Frage eines Neubaus deutlich. Dieser wurde von den Verantwortlichen der Marine als zu teuer und zu zeitintensiv dargestellt. Demnach würde ein Neubau bis zu 170 Millionen Euro kosten und frühestens 2025 zur Verfügung stehen. Zudem sei es auf einem neuen Segelschulschiff aufgrund neuer Bauvorschriften nicht mehr möglich, die Offiziersschüler unter Deck in Hängematten unterzubringen. Durch den dadurch notwendigen Einbau von Kojen müsse ein Neubau als Viermastbark ausgelegt werden. Doch nach Angaben des Bundesrechnungshofes sind diese Angaben falsch: Denn eine Nachfrage der Prüfer bei der zuständigen Genehmigungsbehörde habe ergeben, daß es durchaus die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung für die Benutzung von Hängematten gebe. Auch davon abgesehen seien die Gesamtkosten für einen Neubau deutlich zu hoch angesetzt gewesen, der Rechnungshof geht von Kosten in Höhe von maximal 100 Millionen Euro aus. Zum Vergleich: Mittlerweile hat die längst noch nicht abgeschlossene Sanierung bereits fast 70 Millionen Euro verschlungen. Allein die Liegegebühren in der Werft schlagen täglich mit 10.000 Euro zu Buche.

Der für die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium vernichtende Bericht wird kaum ohne Folgen bleiben. Derzeit arbeitet das Ministerium an einer Stellungnahme, für die der Rechnungshof Zeit bis April gegeben hat. Ob und wann die Gorch Fock jemals wieder in See stechen kann, entscheidet sich erst nach Abschluß der Ende vergangenen Jahres eingeleiteten Untersuchung zu den Vorgängen rund um die Sanierung, die mit einem Zahlungsstopp an die mittlerweile unter Korruptionsverdacht stehende Werft (JF 52/18) verbunden ist.

Der Ministerin stehen stürmische Zeiten bevor – Stichwort „Untersuchungsauschuß Berateraffäre“ (JF 4/19). Sollte es von der Leyen trotz der katastrophalen Ausgangslage gelingen, den „Weißen Schwan“ wieder zum Leben zu erwecken, könnte sie das als einen Neuanfang ihres Ministeriums und der Bundeswehr verkaufen. Auch das wäre dann ein Symbol.