© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/19 / 01. Februar 2019

Rot-grüne Hinterlassenschaft
Sozialpolitik: Ungelöster Streit um den vollen Kassenbeitrag für Betriebsrentner
Christian Schreiber

Experten behaupten, daß kaum ein rot-grünes sozialpolitisches Vorhaben die Menschen derart gegen die Politik aufgebracht habe wie das 2004 in Kraft getretene GMG – das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die Arbeitslosenzahl war damals von 3,8 (2000) auf 4,4 Millionen (2004) gestiegen, die Zahl der gesetzlichen Rentenbezieher kletterte von 23,14 auf 24,25 Millionen. Die von den Grünen durchgesetzte Senkung des Spitzensteuersatzes von 53 auf 42 Prozent hatte einen möglichen Steuerausgleich torpediert. Gleichzeitig sollte aber der – hälftig von Arbeitnehmer und Arbeitgeber bezahlte – durchschnittliche GKV-Beitragssatz von 14,3 Prozent sinken.

Mit dem GMG wurden die Kassenausgaben einerseits reduziert: durch Praxisgebühr, Zuzahlung bei stationärer Behandlung oder das Streichen von Sterbe- und Entbindungsgeld sowie Brillen. Andererseits wurden Einnahmen erhöht: Seit damals wird von Betriebsrenten der volle GKV-Beitragssatz (also Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil) für die Kranken- und Pflegeversicherung abgezogen. Diese Regelung betrifft auch alle Verträge, die vor dem Jahr 2004 abgeschlossen wurden. Einen sonst üblichen Bestandsschutz erlaubte der Gesetzgeber nicht – und die folgenden Merkel-Kabinette änderten daran nichts.

Nur Renten bis 155,75 Euro im Monat sind 2019 beitragsfrei. Die Empörung hält seit 15 Jahren an, zumal im EZB-Niedrigzinsumfeld die hohe Beitrags- und Steuerlast (JF 5/19) Einzahlungen in eine betriebliche Altersversorgung am Ende zu einem Verlustgeschäft macht. Nun zeichnet sich eine leichte Verbesserung ab. Mehrere Medien spekulierten über eine Rückkehr zum früheren „halben“ GKV-Beitragssatz. Seit 1. Januar zahlen Betriebsrentner auf ihre Bezüge aus Direktversicherungs- und Pensionskassenverträgen 14,6 Prozent GKV-Beitrag und 3,05 Prozent Pflegebeitrag. Hinzu kommt noch der GKV-Zusatzbeitrag, den jede Krankenkasse entsprechend ihrem Finanzbedarf erhebt.

Beitragsüberschüsse in der Krankenversicherung nutzen

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat die Angelegenheit 2018 zur Chefsache gemacht, denn die GKV besitzt derzeit Millarden-Rücklagen. Auf dem CDU-Parteitag im Dezember unterstützte Spahn den Kurs des CDU-Wirtschaftsflügels: Der forderte eine Rückkehr zur Rechtslage vor 2004 und fand damit eine Mehrheit unter den Delegierten. Auf Zahlungen der betrieblichen Altersversorgung würde dann wieder wie auf die gesetzliche Rente nur der halbe Kassenbeitrag erhoben.

Die Kehrseite der Medaille wären Einnahmeausfälle für die GKV in Höhe von 2,5 Milliarden Euro. Doch Spahn plant auch mehrere milliardenschwere Reformen im Ärzte- und Pflegebereich. Zudem fordert er, daß die Versicherer ihre Rücklagen dazu verwenden, um ihre Zusatzbeiträge zu senken. Als Ausgleich schlug Spahn zudem vor, daß der Bund den Kassen zusätzlich 1,5 Milliarden Euro überweist – angesichts von für 2019 erwarteten Steuereinnahmen von 325,5 Milliarden Euro „Peanuts“. Aber Finanzminister Olaf Scholz (SPD) lehnte dies umgehend ab. Dabei hatte auch Sozialminister Hubertus Heil (SPD) wiederum den Gesundheitsminister kürzlich aufgefordert, die Überschüsse in der GKV zu nutzen, um die Belastung der Betriebsrentner zu verringern.

Und so dürfte sich der Streit noch ein wenig hinziehen. Bereits im Oktober des vergangenen Jahres wurde der von der AfD unterstütze Linken-Antrag zur Abschaffung der „doppelten Beitragszahlung auf Direktversicherungen und Betriebsrenten in der Anspar- und Auszahlungsphase“ im Gesundheitsausschuß des Bundestages mit den Stimmen von Union und SPD erneut von der Tagesordnung genommen. Hoffnung auf eine kleine Reform bereitet die Tatsache, daß der GKV-Spitzenverband seine Zustimmung erklärt hat. Allerdings fordert er eine Garantie, daß der Bund für die Einnahmeausfälle aufkommt. Eine Erhöhung des Freibetrags wurde als unpraktikabel verworfen.

Versicherte, die ihre Zusatzrentenverträge vor 2004 abgeschlossen haben, drängen weiterhin auf eine Entschädigung für die rückwirkende Belastung ihrer Kapitalauszahlung. Schließlich seien ihnen bei Abschluß der Verträge Steuer- und Sozialabgabenfreiheit versprochen worden. Doch hier stellt sich die Bundespolitik völlig taub. Gut möglich, daß am Ende das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erneut entscheiden muß. Der Sozialverband VdK setzt schon jetzt auf ein BVerfG-Urteil (1 BvR 249/15) vom 4. September 2018, das zumindest einem Teil der betroffenen Betriebsrentner formal recht gibt.

VdK-Informationen zur Beitragspflicht von Betriebsrenten und Versorgungsbezügen:  vdk.de/