© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/19 / 01. Februar 2019

Strukturwandel, Beschäftigung und dreistellige Milliardenkosten
Energiepolitik: Regierungskommission legt Fahrplan zum Kohleausstieg bis 2038 vor / Höhere Importabhängigkeit und massiv steigende Strompreise?
Marc Schmidt

Wegen des 2011 vom Bundestag beschlossenen Atomausstiegs gehen 2022 die letzten drei deutschen AKWs (Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2) vom Netz. Nun erläutert der 336seitige Abschlußbericht der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ (JF 49/18) den Fahrplan zum Kohleausstieg bis 2038. Doch während Ziele und Vorgaben detailliert formuliert sind, bleiben die Kosten weitestgehend im dunkeln.

Mit zahlreichen Maßnahmen soll – entsprechend dem Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung – der CO2-Ausstoß bis 2030 um 60 Prozent sinken. Die tatsächliche Ausgestaltung der Vorgaben und damit deren vorausplanbare Kosten werden erst in den kommenden Monaten mit den Kraftwerksbetreibern verhandelt. Der vorgesehene Zeitplan ist eng. Mit den Betreibern soll beispielsweise bis zum 30. Juni 2020 eine einvernehmliche Lösung gefunden werden, um ein Enteignungs- und Entschädigungsgesetz zu vermeiden. 

Die Kohlekommission rechnet mit steigenden Stromkosten, denn die Abschaltung von Kapazitäten bedeutet steigende Preise an der Strombörse. Auch die Kosten für die Strompreisaufschläge (EEG-Umlage & Co.) werden klettern, da der Anteil der erneuerbaren Energien auf 60 Prozent gesteigert werden soll. Hinzu kommen die Kosten des erforderlichen Netzausbaus. Es erscheint realistisch, daß die Strompreise in den kommenden Jahren um fünf bis zehn Cent pro Kilowattstunde steigen. Für einen Privathaushalt wäre das eine jährliche Mehrbelastung von 150 bis 300 Euro.

Der steigende Preis an der Strombörse macht den deutschen Strommarkt attraktiv für Stromimporte, etwa französischen Atomstrom oder polnischen Kohlestrom. Letzteres ist besonders pikant, da viele Kraftwerke östlich von Oder und Neiße nicht deutschen Umweltstandards entsprechen. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, plant die Bundesregierung auf dem EU-Markt CO2-Zertifikate, die in anderen Ländern recht großzügig an die heimische Industrie verteilt werden, mit Steuergeldern zu kaufen. Mit dieser Maßnahme steigen die Produktionskosten ausländischen Kohlestroms an, zum Nachteil der dortigen Verbraucher und Unternehmen. Ein steigender Anteil von Ökoenergie bedeutet einen höheren Bedarf an Schwankungsreserven für die Netzstabilität, weshalb sich die Kohlekommission faktisch von einem Ziel einer hundertprozentigen „grünen“ Energieversorgung ab 2050 verabschiedet hat.

Teure Erdgaskraftwerke als Stromlückenbüßer

Diese Schwankungsreserven sollen aus neuen Gaskraftwerken kommen, deren Betrieb aber erhebliche politische Nebenwirkungen hat. Da sich der Gas­import aus Holland, Skandinavien und Großbritannien Ländern nicht beliebig erhöhen läßt und die Speicherkapazitäten limitiert sind, steigt die Abhängigkeit von Importen aus Rußland oder von teurem Flüssiggas aus Katar oder den USA. Oder soll das 2017 verschärfte Wasserhaushaltsgesetz gelockert werden, um mit der umstrittenen Fracking-Technik (JF 9/17) Erdgas in Deutschland zu fördern? Und: Erdgaskraftwerke rechnen sich erst ab einem hohen Strommarktpreis, erst recht, wenn sie ungleichmäßig laufen sollen, um Schwankungen auszugleichen. Fraglich ist, ob genügend Kraftwerke für diese Planungen gebaut werden. Selbst wenn diese geplant und gebaut werden, stehen sie erst nach sechs bis sieben Jahren zur Verfügung.

Neben einem Anstieg der Stromkosten kommen auf die Steuerzahler weitere Mehrkosten zu, deren Gesamtsumme nicht einmal abschätzbar ist. Bisher sind nur wenige Vorschläge konkret: Die vom Kohleausstieg betroffenen Bundesländer erhalten 40 Milliarden Euro über 20 Jahre hinweg als Beihilfen zum Strukturwandel. Um den Anstieg beim Strompreis zu bremsen, sind Entlastungen in Höhe von 30 Milliarden Euro geplant. Für jeden abzuschaltenden Kohlemeiler wird eine Entschädigung aus Steuermitteln gezahlt. Inklusive des Aufwands für die CO2-Zertifikate schätzen Wirtschaftsverbände nur diese bisher bekannten direkten Kosten auf deutlich über 100 Milliarden Euro.

Wesentlich höher in der Gesamtsumme werden die Kosten für eine Reihe weiterer Vorschläge ausfallen. In den vom Strukturwandel betroffenen Regionen sollen zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur vorgenommen werden: bessere Straßen, neue Bahnstrecken und Glasfaserkabel in bisher wirtschaftsschwachen Regionen. Zudem wird die Bundesregierung aufgefordert, Bundesbehörden mit 5.000 bis 6.000 Mitarbeitern in diese Regionen zu verlegen. Hinzu kommen Zuschüsse für einen sozialverträglichen Abbau einer fünfstelligen Zahl an Arbeitsplätzen, die nicht durch einen Zuwachs der Beschäftigung im Bereich Ökoenergie in anderen Regionen kompensiert werden. 

Am Ende werden für Bürger wie Unternehmen Hunderte Milliarden Mehrkosten entstehen. Ein hoher Preis dafür, daß Deutschland symbolisch als eines der wenigen Länder seine Zusagen aus dem Pariser Klimaabkommen mittelfristig einhalten wird, während Volkswirtschaften wie China jährlich mehr Kohlekraftwerkskapazitäten neu bauen als Deutschland bis 2038 stillegen wird.

Abschlußbericht der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“:  www.kommission-wsb.de