© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/19 / 01. Februar 2019

Die preußische Geißel Napoleons
Der US-Historiker Michael Leggiere präsentiert eine emphatische Biographie über den berühmten Waterloo-General Gebhard Leberecht von Blücher
Tom König

Es steht schlimm um ein Volk, wenn es ausländischer Historiker bedarf, um sich seiner eigenen Helden zu erinnern. Einer dieser vergessenen Heroen ist Gebhard Leberecht von Blücher (1742–1819). Michael V. Leggiere, ein US-amerikanischer, hat ihm nun mit einer umfassenden Biographie ein fesselndes literarisches Denkmal gesetzt.

Gestützt auf französische, russische, österreichische und deutsche Archiv-quellen sowie Blüchers persönliche Papiere gelingt es dem renommierten Historiker, ein packendes historisches Porträt des Husaren aus Rostock zu kreieren. Dabei räumt der Autor mit einigen sich bis heute haltenden historischen Klischees auf. So trat der Preuße – ungeachtet seines ihm noch immer anhaftenden Rufes als „Marschall Vorwärts“ – häufiger den Rückzug an, als daß er angriff. Diese taktischen Rückzüge hatten jedoch allesamt strategisches Kalkül, beraubten sie Bonaparte doch der von ihm so sehnlichst herbeigewünschten Gelegenheit, die Alliierten getrennt voneinander schlagen zu können.

Gesegnet durch eine kräftige Statur, feurige Augen, feine Gesichtszüge und silberweißes Haar, wußte der Feldmarschall seine Umgebung beileibe nicht nur durch Äußerlichkeiten zu beeindrucken. Weit relevanter waren Charakteristiken wie ein ungewöhnlicher Mut und Kühnheit, Standhaftigkeit und spezielle Führungseigenschaften. Zu ihnen gehörten eine unnachahmliche, beinahe väterliche Ansprache an die Truppen, die diese selbst in verzweifelter Lage aufzurichten und mit neuem Mut zu versehen vermochte. So traf „Vater Blücher“ vor allem das Gemüt seiner „Kinder“ und wurde, wie Leggiere detailliert beschreibt, zum wohl populärsten Truppenführer Preußens. Auch zögerte der Marschall trotz seiner siebzig Jahre nicht, persönlich Kavallerieattacken auf französische Artilleriestellungen anzuführen, wenn es die Lage erforderte.  

Wie Leggiere durch detaillierte Auswertung aller ihm zur Verfügung stehenden Quellen zu beweisen imstande ist, waren es Blücher und seine Preußen, welche die Hauptlast des Befreiungskrieges 1813 bis hin zur Völkerschlacht bei Leipzig trugen und Napoleons Niederlage schließlich herbeiführten. Nach Leggiere unterschied sich Blücher von den meisten Befehlshabern seiner Zeit dadurch, daß er keine Furcht vor dem vermeintlichen militärischen Genie Napoleons verspürte. Inmitten all des Gemetzels vergißt Leggiere aber nicht, den Menschen Blücher zu illustrieren, der eben nicht nur Soldat, sondern auch liebender Gatte und Vater war und der all das Grauen des Krieges mit innerer Abscheu und großer Empathie für seine Opfer verfolgte.

Leggieres Werk ist jedoch weit mehr als nur eine Lebensbeschreibung Blüchers. Es ist ein faszinierendes Porträt Preußens und seiner führenden Persönlichkeiten zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Eines Staates, der beinahe nach der Katastrophe bei Jena und Auerstedt 1806 zerstört wurde, verzweifelt um sein Überleben kämpfte und sieben Jahre brauchte, bis er sich wie Phönix aus der Asche erheben konnte. Leggiere läßt die Verwicklungen der internationalen Politik lebendig werden und illustriert die erbitterten innenpolitischen Auseinandersetzungen zwischen Frankophilen und Patrioten in Preußen. Historisch ungemein faszinierende Persönlichkeiten wie Stein, Hardenberg, Scharnhorst und Gneisenau werden lebendig, und atemlos folgt der Leser der schicksalhaften Entwicklung Preußens, die schließlich in den Befreiungskriegen mündet. 

Leider existiert das Werk von Michael V. Leggiere gegenwärtig nur in englischer Sprache. Es bleibt zu hoffen, daß sich möglichst schnell ein deutschsprachiger Verlag finden wird, damit deutsche Leser Zugriff auf ein bewegendes Kapitel ihrer eigenen Historie erhalten.

Michael V. Leggiere: Blücher. Scourge of Napoleon. Arthur H. Clark Company, Norman/Oklahoma 2018, gebunden, 568 Seiten, Abbildungen, 29,04 Euro