© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/19 / 08. Februar 2019

Alte Pfründe und neue Erkenntnisse
Handwerksordnung: Streit um Wiedereinführung der Meisterpflicht in liberalisierten Gewerken
Dirk Meyer

Muß der Inhaber eines Handwerksbetriebes einen Meisterbrief vorweisen? Ein Blick in die Geschichte zeigt ein Auf und Ab des freien Zugangs zum Handwerk auf. Mit der Gewerbefreiheit 1810 in Preußen wurde das bis dahin bestehende Zunftkartell beseitigt. Es sollte bis 1869 dauern, daß in allen deutschen Ländern der Konkurrenzschutz für die Ausübung eines Handwerkes fiel. Mit dem Großen Befähigungsnachweis wurde 1935 der Berufszugang wieder eingeschränkt. Die Handwerksordnung (HwO) von 1953 legte die Meisterpflicht in 93 damaligen Gewerken fest. Die deutschen und EU-weiten Deregulierungsanstrengungen führten zur Handwerksnovelle 2004, mit der die Meisterpflicht für 53 Berufe aufgehoben wurde. Derzeit gibt es in Mitteleuropa eine vergleichbare Meisterpflicht nur in Luxemburg und Südtirol.

Aktueller Anlaß der erneuten HwO-Diskussion sind zum einen mögliche Fehlentwicklungen wie Minderqualitäten und eine nachlassende Lehrlingsausbildung. Zum anderen tritt zum Juli 2020 eine EU-Richtlinie zur Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Einführung neuer Berufsreglementierungen in Kraft, die eine spätere Anpassung schwermachen dürfte. Auch deshalb wollen Union und SPD die Lockerungen teilweise rückgängig machen, während die Monopolkommission aus Gesichtspunkten des Wettbewerbs und des freien Marktzugangs davor warnt. Ist dieses Vorhaben im Einklang mit unserer marktwirtschaftlichen Ordnung und der EU-Niederlassungsfreiheit? Orientierung bieten drei Aspekte: der Schutz des freien Wettbewerbs, der Schutz der Wettbewerber vor unlauterem Wettbewerb sowie der Verbraucherschutz.

Insbesondere von Innungsvertretern wird auf althergebrachte handwerkliche Traditionen, Werte und Sozialisationsmuster verwiesen. Dies stellt ein Sozialkapital dar, zu dessen Erhalt sich eine Gesellschaft entscheiden kann oder auch nicht. Belegt ist ein besonders starker Rückgang der Ausbildungsleistung in den deregulierten Gewerken nach der Novelle. Dies könnte ein Problem darstellen, ist doch eine gute Ausbildung die Voraussetzung für eine qualitativ hochwertige Leistung. Bessere Vorprodukte, Werkzeuge und Arbeitsabläufe dürften diesen Mangel nur eingeschränkt heilen. Zwar nahm auch insgesamt die Zahl der Ausbildungsverträge in den Handwerksberufen zwischen 2004 und 2016 um 25 Prozent auf 316.000 ab. In den zugangsfreien Berufen war der Rückgang jedoch teils besonders stark. So gab es im Jahr 2004 etwa 25.500 Fliesenlegerbetriebe mit 3.000 Auszubildenden. Bis 2016 stieg die Zahl auf 69.700 Betriebe mit aber nur noch 2.200 Lehrlingen – ein Rückgang von 27 Prozent. Drastischer ist es bei den Raumausstattern: Dort nahm die Zahl der Betriebe von 11.100 auf 28.500 zu, während im selben Zeitraum die Lehrlingszahl um 42 Prozent von 3.100 auf 1.800 sank.

Fehlender Sachverstand und Gesundheitsgefahren?

Dies illustriert den Gründungsboom im deregulierten Teil des Handwerks. Vor der Reform 2004 existierten dort 103.000 Handwerksbetriebe. Bis 2016 kamen 136.000 Betriebe hinzu (ein Zuwachs von 133 Prozent), während der meisterpflichtige Handwerkssektor um knapp drei Prozent auf 579.000 Betriebe schrumpfte. Allerdings handelt es sich bei den Neugründungen zumeist um Solohandwerker mit einer häufig kurzen betrieblichen Überlebensrate.

Auch erzielen diese Anbieter auf der Plattform My-Hammer.de schlechtere Kundenbewertungen als Meisterfirmen. Beides zusammengenommen kann für den Kunden bedeuten, daß er bei mängelbehafteter Leistung trotz einer fünfjährigen Gewährleistung für handwerkliche Tätigkeiten nach der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) seine Ansprüche nicht durchsetzen kann. Bei größeren Aufträgen kann dieses Risiko jedoch durch eine Bankbürgschaft ausgeschaltet werden.

Einen weiteren Aspekt des Verbraucherschutzes stellt der mitunter fehlende Sachverstand des Kunden zur Beurteilung der Qualität einer Handwerksarbeit dar. Hier unterscheiden sich die Berufe erheblich. Während ein Haarschnitt offensichtlich gefällt oder nicht, ist die fachgerechte Installation im Elektro- und Sanitärhandwerk von einem Laien nur sehr begrenzt erkennbar. Auch Online-Bewertungsportale helfen deshalb hier kaum weiter. Zudem erfolgen die Kundenbewertungen zumeist zeitnah und machen selten Aussagen zur Nachhaltigkeit von Leistungen. Hinzu kommen potentielle Gesundheitsgefahren, die mit der Leistung oder der Leistungserbringung verbunden sein können. Eine fehlerhafte Elektroanlage, nicht korrekt erneuerte Bremsbelege oder ein unsicheres Gerüst gefährden Menschenleben.

Ein Meisterabschluß bietet durch entsprechend nachgewiesene technische Fertigkeiten, betriebswirtschaftliche Kenntnisse und pädagogische Fähigkeiten eine gute Voraussetzung für eine gute und stabile Arbeit des Betriebes und der Nachwuchsförderung. Ein dauerhafter Verbleib im Markt macht zudem die Berücksichtigung neuer Techniken und Kompetenzen notwendig. Allerdings wird die Arbeit entsprechend teurer für den Kunden. Insofern steigen die Anreize zur Schattenarbeit, und eine Preis-/Qualitätsdifferenzierung findet illegalen Zugang zum Kunden.

Mögliche Reformbemühungen könnten dahin gehen, daß man beispielsweise dem Rolladenbauer bei kurzer Zusatzausbildung den Elektroanschluß gestattet. Im übrigen gibt es schon die Möglichkeit von den Meisterbrief ersetzenden Qualifikationen. Dies gilt nicht nur für ausländische Abschlüsse, die nach EU-Recht als gleichwertig anzuerkennen sind, sondern auch für die sogenannte „Altgesellenregelung“, die Gesellen mit entsprechender Berufserfahrung die Gründung oder Übernahme eines Betriebes erlaubt. Diese Flexibilität und Durchlässigkeit ist zu fördern, ebenso die Attraktivität der dualen Ausbildung.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.





Handwerk ohne Meisterpflicht

Ursprünglich wollte die rot-grüne Bundesregierung im Rahmen ihrer „Agenda 2010“ insgesamt 65 von 94 traditionellen Handwerksberufen von der Meisterpflicht freistellen. Die unionsgeführten Bundesländer setzten aber im Vermittlungsausschuß durch, daß ab 2004 nur 53 Gewerke ohne Handwerksmeister betrieben werden können. Dazu zählen seither beispielsweise Fliesen- und Parkettleger, Rolladen- und Sonnenschutztechniker, Brauer, Maßschneider, Feinoptiker oder Orgel- und Klavierbauer. Weitere 57 Berufe – etwa Betonbohrer, Fahrzeugverwerter, Speiseeishersteller oder Kosmetiker – werden derzeit als handwerksähnliche Gewerbe klassifiziert. Altgesellen mit sechsjähriger Berufs- und vierjähriger Leitungserfahrung dürfen auch ohne Meisterbrief ein meisterpflichtiges Handwerksgewerbe ausführen. Ausgenommen sind nur Augenoptiker, Hörgeräteakustiker, Orthopädietechniker, Orthopädieschuhmacher, Schornsteinfeger und Zahntechniker.

Liste zulassungsfreier Handwerke und handwerksähnlicher Gewerbe:  gesetze-im-internet.de