© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/19 / 08. Februar 2019

Berührend unkitschig
Schöner singen die Vögel nach dem Tod der Schwester: Der Kinofilm „Glück ist was für Weicheier“ ist ein realistisches Märchen
Sebastian Hennig

Die Absolventen des Leipziger Literaturinstituts und der Filmhochschulen in Babelsberg und München bestätigen nur zu oft eine Regel des Verfehlens. Ihre Prosa liest sich wie ein Drehbuch. Platte Dialoge und schnurgerade Handlungen sollen rasch das Kopfkino des Lesers anleiern. Mit literarischem Gewicht belasten sie die Filme und verschenken dadurch die magische Potenz des Kinos.

Der Film „Glück ist was für Weicheier“ ist in jeder Hinsicht eine Ausnahme. Seine Autorin, Silvia Wolkan, studierte am Leipziger Institut. Die Regisseurin Anca Miruna Lazarescu begegnete ihr bei einem Stoffentwicklungsseminar an der Hochschule für Film und Fernsehen in München. Von Wolkans Drehbuch war sie sofort hingerissen. „Ich erinnere mich noch, daß ich Silvias Stoff als erstes gelesen und mich Seite um Seite mehr und mehr in diese Figuren verliebt habe. Es war so extrem, daß ich darüber sogar meinen eigenen Stoff vernachlässigt habe. Stattdessen habe ich nur überlegt, wie komme ich an Silvia heran und wie überzeuge ich sie davon, mir diesen Stoff zu überlassen.“

Es verstrichen acht Jahre bis zur Realisierung dieses gemeinsamen Films. Das Ergebnis ist eine Mischung aus Emir Kusturicas Balkan-Epen und „Finsterworld“ von Frauke Finsterwalder nach dem Drehbuch von Christian Kracht. Das eine erklärt sich vielleicht ein wenig daraus, daß die Regisseurin 1979 in Temeschwar geboren ist, das andere dadurch, daß ihre Produzenten Tobias Walker und Philipp Worm, gleichfalls Absolventen der FFH München, tatsächlich auch „Finsterworld“ produziert haben. 

Im Mittelpunkt des Films stehen eigentlich alle darin vorkommenden Personen zugleich. Überstehen ist für sie alles. Von Siegen kann keine Rede sein. Stefan Gabriel  (Martin Wuttke) hat bei einem Unfall seine Frau verloren. Seine schöne Tochter Sabrina (Emilia Bernsdorf) ist sterbenskrank. Die ungleiche Schwester Jessica (Ella Frey) ist ein eigenwilliger Kugelblitz, der von den Mitschülern gehässig als „Neutrum“ geschmäht wird. Sogar ein Erwachsener ruft irrtümlich „He, Junge!“ als sie mit dem Rad zu nahe an ihm vorüberrast. Die Jungs in ihrer Klasse meinen, daß es Verschwendung sei, daß die schöne Sabrina statt ihrer stürbe.

Den Film durchzieht eine elegante Schwermut

Lachend blicken die drei dem unausweichlichen Tod ins Auge und nehmen stattdessen leichte Dinge ernst. Als Jessica vor der Klasse ausrastet, soll sie den Psychologen Wolfgang Teuter (Christian Friedel) aufsuchen. In seinem Auftrag führt sie ein minutiöses Tagebuch über ihre Zwänge, überreicht ihm schließlich ein kiloschweres Dossier und entschuldigt sich für kleine Ungenauigkeiten darin. Den Film durchzieht eine elegante Schwermut. Eine heitere und freie Grundstimmung ist vorherrschend. Die übermütigen Einfälle glänzen vor der Folie der ernsten Situation. Das unterscheidet den Film von Melodramen über Schwerkranke, die durch Vorzeigen der medizischen Apparatur den letzten Dingen Respekt verschaffen wollen. Die Hilfe erfolgt hier persönlich und hat darum nichts Erniedrigendes. Jessica liest Sabrina auf deren Wunsch Bücher über Magie und Satanismus aus der Stadtbibliothek vor. Mit Horrorfilmen lenkt sie sich ab und gewinnt Zuversicht.

Der Vater unterhält in einem Hospiz ehrenamtlich die Sterbenden. Die sind ihm natürlich in der Praxis weit voraus. Einer verlöscht einfach hinter seinem Rücken, während er noch eifrig auf ihn einredet: „Lieber Herr Bauer, ich freue mich schon auf unser nächstes Wiedersehen, ehrlich, bis dahin sage ich auf Wiedersehen, ein liebes Tschüß, Adieu.“ Diese unheimliche Obszönität des Todes spricht keinesfalls gegen die Würde des Vorgangs. Der Film beobachtet sehr gut, wie das Leben seinen Duft von der Vergänglichkeit bekommt, wie die wahre Freude am liebsten der Not benachbart bleibt. Aufmerksam und doch in natürlicher Beiläufigkeit läuft der Wechsel der Jahreszeiten durch den Film. 

Als Jessica den angehimmelten Jungen anspricht, hält der sie für schwul, weil auch er das Mädchen in ihr verkennt. In aufrichtiger Absicht wird sie von seiner Liebsten und Eislaufpartnerin getröstet, dieser sei ein lausiger Liebhaber.

Es ist ein guter Film in jeder Hinsicht. Er ist einerseits gut gemacht und dann in seiner Wirkung grundgütig und begütigend auf den Zuschauer. Die Nachbarn Melanie (Tina Ruland) und Horst Kranz (Stephan Grossmann) werden rührend wie Kinder in ihrem hilflosen Materialismus dargestellt. Die Leiterin des Hospizes, Renate Gems (Sophie Rois), ist verschossen in den tapfer-traurigen Stefan Gabriel. Im Wortsinne macht sie sich an ihn heran, während er nur im Sinn hat, ihr auf freundliche Weise seine Dienste aufzukündigen. Doch die Komik der Situationen denunziert nie die Figuren.

„Glück ist was für Weicheier“ ist ein realistisches Märchen, berührend und völlig unkitschig. Das ist ein großes Kunststück und ein Vorrecht des Kinos. 

Kinostart am 7. Februar 2019

 www.glueckistwasfuerweicheier-film.de