© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/19 / 08. Februar 2019

Wie aus Preßburg Bratislava wurde
1919 wurde die deutsch-ungarische Stadt an der Donau gewaltsam zur Haupstadt der Slowaken gemacht
Erich Körner-Lakatos

Als um 1788 eine Delegation Preßburger Honoratioren am Wiener Hof von Kaiser Joseph II. in Audienz empfangen wird, wundert sich der Monarch über deren gepflegtes Deutsch, obwohl sie doch in der alten ungarischen Krönungsstadt Pozsony zu Hause sind. Auf die Frage des Kaisers, ob sie wohl Ungarn oder Deutsche seien, erwidert der Sprecher bescheiden: Weder noch, Majestät, Preßburger sind wir halt.

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich aber auch in der Donaustadt allmählich ein nationales Bewußtsein. Bei einer Volkszählung 1850 bekannten sich von damals 36.742 Preßburgern 25.942 als Deutsche, das waren mehr als siebzig Prozent. Ansonsten lebten in Preßburg 12,9 Prozent – in der Regel deutschsprachige – Juden. Der Anteil der Slowaken (10,1 Prozent) sowie der Magyaren (6,2 Prozent) hielt sich in Grenzen. Bei den aus dem nordöstlichen Umland stammenden Slowaken in Preßburg handelte es sich meist um das Gesinde in den Häusern der deutschen Bürger.

Bei der Volkszählung 1910 schaute die Lage schon ganz anders aus, da die von Budapest betriebene Magyarisierung in Transleithanien Wirkung gezeigt hatte. Die inzwischen auch durch eine zaghafte Industrialisierung auf 78.229 Menschen angewachsene Einwohnerschaft teilte sich in 32.790 Deutsche und 31.705 Magyaren auf. Die Slowaken blieben mit 11.673 Einwohnern nur eine Minderheit. 

Hirngespinste von Exil-Tschechen in den USA

Die Preßburger unterhielten zu dieser enge Kontakte mit Wien zwischen den beiden Städten verkehrte sogar eine Überland-Straßenbahn. Der sogenannte Theaterzug bringt nach Ende der Vorstellungen die kulturbegeisterten Preßburger aus der Hauptstadt wieder nach Hause bringt. 

Noch im Herbst 1918 ist in Preßburg die Vorstellung abwegig, einmal zu einer wie immer gearteten „Slowakei“ zu gehören. Selbst die ethnischen Slowaken – vielleicht mit Ausnahme der kleinen Gruppe von Intellektuellen rund um die „Matica slovenská“ – strebten zu diesem Zeitpunkt ein eigenes nationales Gemeinwesen an. Noch weniger steht eine Kooperation mit den Tschechen auf der Agenda, wie es sich zu gleicher Zeit einige in den USA lebende Slowaken ausmalen, die im Mai 1918 mit dem Kopf der Exiltschechen, dem einflußreichen Tomáš Garrigue Masaryk, schließlich den Pittsburgher Vertrag schließen. 

Doch in der kollabierenden k.u.k. Monarchie kommt es zu unerwarteten Begebenheiten. Schon am 31. Oktober versucht die „Tschechoslowakische Legion“, eine in Rußland aufgestellte Truppe, die sich aus Deserteuren der k.u.k. Armee sowie Kriegsgefangenen rekrutiert und entgegen ihrer Bezeichnung bloß drei Prozent Slowaken unter Führung von Milan Rastislav Štefánik umfaßt, Preßburg/Pozsony im Handstreich einzunehmen, doch die jungen Kämpfer der Ödenburger Kadettenschule, unterstützt von einer Artillerieeinheit unter dem Befehl des frisch von der Front zurückgekehrten Lajos Csatay, werfen die Angreifer schnell zurück. Die Stadt bleibt vorerst ein Teil Ungarns.

Aber die Tschechen kehren bald zurück. Am 30. Dezember kreist das 33. Infanterie-Regiment der Legion unter dem Kommando des italienischstämmigen Obersten Riccardo Barecca die Stadt ein. Und am Neujahrstag sind die Legionäre mitten in Preßburg, besetzen zuerst den Bahnhof und später andere wichtige Plätze. Die Einheimischen reiben sich erstaunt die Augen, können es kaum fassen. Am 4. Februar 1919 erklärt die Prager Regierung Preßburg zur Hauptstadt der Slowakei, die, so das Versprechen der Tschechen, ein durchaus autonomer Teil der CSR sein würde. 

Den Preßburgern ließ Prag dabei nicht einmal den Namen ihrer Heimatstadt. Masaryk und sein Außenminister Edvard Beneš diktierten den völlig neuen, absichtsvoll besonders slawisch klingenden Kunstnamen: Bratislava. Damit waren nicht einmal die Slowaken zufrieden, da sie die Stadt seit jeher Prešporok nannten, in Anlehnung an die deutsche Bezeichnung. Kompromißvorschläge wurden verworfen, so wie die Idee, Preßburg aus Dankbarkeit gegenüber dem US-Präsidenten Woodrow Wilson für dessen Grundsatz der Selbstbestimmung der Völker „Wilsonstadt/Wilsonvár/Wilsonov“ zu nennen. Das hätte gerade am Beispiel Preßburgs allerdings eine allzu groteske Umkehr der Realität bedeutet. 

Eine friedliche Demonstration der Preßburger gegen den neuen Namen und die Zukunft in der Tschechoslowakei wird am 12. Februar 1919 von tschechischen Legionären brutal niedergeschlagen: neun Tote, Hunderte Verletzte, 23 davon schwer, ist die blutige Bilanz. Ähnliches geschieht am 4. März bei Demonstrationen in Eger und anderen Orten des Sudetenlandes. Dort sind 54 Tote zu beklagen.