© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/19 / 15. Februar 2019

Ein Dorn im Auge
Tendenzwende: Aufarbeitung des DDR-Unrechts nach Kriterien einer früheren Stasi-Informantin
Vera Lengsfeld

Am 14. Februar findet in Berlin eine Tagung statt, die gegen Förderrichtlinien der Landeszentrale für politische Bildung verstößt und dennoch von ihr gefördert werden soll. Die Veranstaltung findet in den Räumen der Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS) statt, aber wer genau dazu einlädt, ist unklar. Auf der Einladung findet sich das Logo der Landeszentrale für politische Bildung Berlin, nicht aber das der Stiftung. Unterschreiben ist es von Anetta Kahane, Enrico Heitzer und Klaus Bästlein. 

Erst nach zahlreichen Anfragen erschien ein kleiner, versteckter Hinweis auf der Homepage der AAS. Gleichzeitig wurde mitgeteilt, die Veranstaltung sei ausgebucht. Ganz offensichtlich will man unter sich bleiben. 

Die Tendenz ganz klar: Es geht gegen die Gedenkstätten des DDR-Unrechts, die in ehemaligen Gefängnissen für politische Gefangene gegen erhebliche Widerstände der ehemaligen Täter eingerichtet wurden.

Seit die DDR von ihren rebellischen Bürgern im Ergebnis der Friedlichen Revolution abgeschafft wurde, tobt der Kampf um ihr Bild in der Geschichte. Die alten SED-Kader und die Mitarbeiter der Staatssicherheit hatten das größte Interesse daran, den Diktaturcharakter des zweiten deutschen Staates zu vertuschen. Dabei erzielte die SED, die sich nach viermaligem Namenswechsel heute Linke nennt, beträchtliche Erfolge. Weil es dem letzten SED-Chef Gregor Gysi, der die Parteiführung im Dezember 1989 übernahm, gelang, die Auflösung der Partei zu verhindern – das Hauptargument war, daß dann das Vermögen verlorengehe – stand der Partei ihr gesamter riesiger Apparat weiter zur Verfügung.

Die umfangreichen SED-Ressourcen konnten im Vereinigungsprozeß und danach erfolgreich für ideologische Kampagnen eingesetzt werden. Eine Schlüsselrolle kam dabei von Anfang an dem „Kampf gegen Rechts“ zu. Die SED/PDS inszenierte sich als Vorkämpferin gegen den angeblich drohenden Rechtsruck des vereinten Deutschlands.

Am 28. Dezember 1989 beschmierten Unbekannte die Steinsarkophage und den Sockel der Krypta des Sowjetischen Ehrenmals in Berlin-Treptow mit rechtsextremistischen Parolen. Sofort verkündete die SED/PDS, daß der oder die Täter aus der rechtsextremen Szene kämen, und veranstaltete am 3. Januar 1990 eine Massendemonstration, an der sich 250.000 Genossen beteiligten. Der Parteivorsitzende Gysi forderte bei dieser Gelegenheit einen „Verfassungsschutz“ als Ersatz für die Staatssicherheit der DDR. Der Historiker Stefan Wolle hält es deshalb für möglich, daß hinter den Schmierereien Stasi-Mitarbeiter steckten, die um ihre Posten fürchteten. Geklärt ist die Täterschaft bis heute nicht.

Den Bundestagswahlkampf 1990 bestritt die PDS, die inzwischen ihren Doppelnamen abgelegt hatte, mit einem Plakat: „Drei gegen rechts“, das Gregor Gysi, Lothar Bisky und den späteren Dissidenten Wolfgang Berghofer zeigte. Wie sich herausstellen sollte, ist dieser Kampf vollumfänglich von den Verantwortlichen im vereinten Deutschland übernommen worden. 

Die Gedenkstätten in den ehemaligen Stasi-Gefängnissen, Haftanstalten und geschlossenen Jugendwerkhöfen sind den SED- und Stasi-Tätern ein besonderer Dorn im Auge. Was bisher nicht geschafft wurde, soll nun mit Hilfe des Vorwurfs „rechter Tendenzen“ erledigt werden: die Uminterpretation des DDR-Unrechts. Der „Fachtagung“ kommt dabei offensichtlich die Rolle zu, „Beweise“ zu sammeln für eine erfolgreiche Kampagne gegen die Gedenkstätten. Daß dabei ausgerechnet eine ehemalige Stasi-Mitarbeiterin eine Schlüsselrolle einnimmt, ist besonders gruselig. 

Einer der Einladenden, Enrico Heitzer, ist gleichzeitig Referent. Er soll über angebliche rechte Tendenzen im Menschenrechtszentrum Cottbus in der ehemaligen Strafvollzugsanstalt für politische Gefangene sprechen. Heitzer kritisiert diese Gedenkstätte seit Jahren. Allerdings tut er es auf eine besondere Weise  – einseitig, böswillig, mit sarkastischen und herabsetzenden Kommentaren, nicht konstruktiv. Er läßt nach Aussage der Betreiber der Gedenkstätte weder Gegenargumente zu, noch akzeptiert er deren Weg der Aufarbeitung von DDR-Unrecht. Der Gedenkstätte kommt es seit langem vor, als würde ein ideologischer Kampf gegen sie geführt. 

Ein anderer Referent ist der Journalist Markus Decker, der ebenfalls seit Jahren in seinen Artikeln in einseitiger und böswilliger Weise Bürgerrechtler der DDR und Gedenkstätten des DDR-Unrechts attackiert. 

Ein Tribunal solle nicht stattfinden, wird im Einladungsschreiben versichert. Das stimmt insofern, als bei Tribunalen die Angeklagten anwesend sind und sich verteidigen können. Bei der „Fachtagung“ handelt es sich eher um eine geschlossene Gesellschaft, die ihre Urteile entsprechend ihrer ideologischen Vorurteile fällen will. Offenbar sollen die neuen Kriterien der Aufarbeitung des DDR-Unrechts nach Maßgabe einer Stasi-Informantin im Sinne derer, denen sie früher gedient hat, erfolgen. Ein solcher Skandal ist wohl nur in Deutschland möglich.

Der „Kampf gegen Rechts“ ist inzwischen ein nicht zu hinterfragendes Essential in Politik, Medien, der öffentlichen Diskussion und politischen Bildung. Dabei kann heute jeder wissen, wie verlogen der Antifaschismus der SED war. Kürzlich erschien von Henry Leide „Auschwitz und Staatssicherheit. Strafverfolgung, Propaganda und Geheimhaltung in der DDR“. Darin ist nachzulesen, wie sicher sich NS-Täter in der antifaschistischen DDR fühlen konnten.

Gegen die Versuche, den Diktaturcharakter der DDR zu verharmlosen, wehrten sich von Anfang an DDR-Bürgerrechtler und ehemalige politische Gefangene. Zu den entscheidenden Siegen gehört, daß die Zentrale Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit in Hohenschönhausen nicht dem Erdboden gleichgemacht, sondern zu einer Gedenkstätte wurde. 

Nach dem Vorbild von Hohenschönhausen entstanden andere Gedenkstätten in Potsdam. Cottbus, Dresden, Erfurt, Bautzen und Torgau.

Hohenschönhausen ist ein Schlüsselort für die Aufarbeitung des DDR-Unrechts. Hier gaben sich die Diktaturen buchstäblich die Hand. Die Gedenkstätte ist für DDR-Täter von Anfang an ein großes Ärgernis gewesen. Deshalb richtet sich die „Fachtagung“ der Anetta Kahane vor allem gegen Hohenschönhausen und das Menschenrechtszentrum Cottbus. 






Vera Lengsfeld war in der DDR als Bürgerrechtlerin engagiert und wurde im Auftrag der Staatssicherheit bespitzelt

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