© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/19 / 15. Februar 2019

Eine allzu bunte Formlosigkeit
Theologischer Revisionismus: Michael Hoffmans heilsgeschichtliche Studie über die „okkulte Renaissance“ in der katholischen Kirche
Robert Rielinger

Im Jahr 1964 untersuchte Hugo Rahner spätantike patristische Symbole für „Kirche“ wie „Frau im Mond“ oder „Mast und Rahe“. Obwohl diese Bilder schon im 5. Jahrhundert verblaßten, hoffte er auf ihre inspirierende Wirkung für eine konziliare „Kirche als Sakrament“. Die alten Bilder kehrten aber nicht wieder, und auch Hugo Rahner ist vergessen. Vielmehr setzte –  mit Unterstützung seines Bruders Karl – eine räumliche, bildliche und rituelle„Häresie der Formlosigkeit“ (Martin Mosebach) ein. 

Michael Hoffmans Arbeit handelt von Geschichte und Inhalt dieser Formlosigkeit. „Bunte“ Gesten, Zeichen und Artefakte wurden bereits vor dem aktuellen Pontifikat sichtbar in Johannes Pauls II. Einbeziehung indianischer Rituale 2002 in Mexiko und seinem Synkretismus im Assisi-Gebet, nehmen aber mit Franziskus’ Regenbogenfarben-Kreuz oder seinem seltsam gespaltenen „Hirtenstab“ vom 3. Oktober 2018 an Drastik zu. Parallel hierzu sind Orte, Räume, Kunstwerke des katholischen Rom in den letzten zwanzig Jahren zu okkult-antiquarischer Staffage für die „semiotischen“ Thriller Dan Browns oder deren Persiflage durch Umberto Eco geworden. 

Immer größere Diskrepanz zur Heilsgeschichte

Für Hoffman ist dies kein plötzlicher Wandel. Er deutet die rasante Entwicklung der nachkonziliaren fünfzig Jahre als Abbreviatur eines 500 Jahre währenden Prozesses der Infiltration antiken und mittelalterlichen Glaubensbestandes mit hermetischen Inhalten durch eine römische Elite aus Päpsten und Kardinälen. Hier ergibt sich aber eine diskussionswürdige Diskrepanz zwischen Hoffmans subtiler semiotischer Analyse und deren heilsgeschichtlicher Interpretation. 

Man kann dem Autor durchaus folgen in seiner Verwunderung über die Fülle hermetischer Elemente des Renaissance-Rom, sei es der erratische Obelisk auf dem Petersplatz oder die Allgegenwart von Corpus Hermeticum und Kabbala. Die britische Historikerin Frances Yates (1899–1981) führt er als Gewährsfrau der gleichen hermetischen Unterströmung der Renaissance-Naturwissenschaften an, bezichtigt sie aber für deren Bezeichnung als „Weiße Magie“ der Naivität. Damit verkennt Hoffmann für sein Thema die Potenz der „Yates-Hypothese“. Yates – wie auch Carl Gustav Jung oder Jan Assmann – sieht Hermetik als historisch codierte Metaphorik unbewußter Antriebe neuzeitlich rationaler Leistung. Demnach verhielt sich die katholische Lehre durchaus parallel zur Vernunftorientierung der jungen Naturwissenschaften: keine Aufgabe der Logosorientierung der offiziellen Lehre, hermetische Codierung von Voraussetzungen und Antrieben unter der Logos-Lehre als beständige Integrationsarbeit auch irrationaler Affekte und heidnischer Tradition. 

Kein durchgehend heilsgeschichtlicher Verrat wird hier sichtbar, sondern eine mehr oder minder geglückte Integration von Logosorientierung und hermetischer Tiefenströmung. Ein moderner Protagonist dieser Integrationsarbeit wie Henri de Lubac war also kein „hermetischer Fürst des Konzils“ (Hoffman), sondern starb eher als traditionsverbundener „Revisionist“. Problematisch ist auch Hoffmans Einordnung Luthers als rebellisches Opfer der hermetischen Hierarchie. 

Erst im Franziskus-Pontifikat erfolgt – nimmt man die Yates-Hypothese weiter ernst – ein Versuch der Umschichtung von oberflächlicher und tiefer Strömung mit lehramtlicher Propaganda für Gefühlsorientierung und antitraditionelle Affekte anstatt Logos und Offenbarung als offizieller Doktrin. Hoffmans Arbeit ist mit ihrer Aktualisierung der Yates-Hypothese und dem Mut zur heilsgeschichtlichen Fragestellung eine kräftige Anregung zur Auseinandersetzung mit der heutigen Lage der katholischen Kirche.

Michael Hoffman: The Occult Renaissance. Church of Rome. Coeur d’Alene Independent History and Research, Idaho 2017, broschiert, 723 Seiten, Abbildungen, 34,99 US-Dollar