© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/19 / 22. Februar 2019

Nils Heisterhagen stellt den Multikulti-Kurs der SPD in Frage – von links
Der wahre Sozi
Nicolaus Fest

Die interessanteste Figur in der sozialdemokratischen Partei ist ein 31jähriger ehemaliger Grundsatzreferent aus Rheinland-Pfalz. Das sagt mehr über die SPD als über Nils Heisterhagen. Denn Heisterhagen, geboren in Rinteln bei Hameln, ist tatsächlich ein origineller Kopf. Während Gespräche mit Heiko Maas, Manuela Schwesig oder Ralf Stegner intellektuell als verlorene Investition zu verbuchen wären, hat Heisterhagen einiges zu sagen.

Der promovierte Philosoph, Autor des Buches „Die liberale Illusion“, fordert von den Sozialdemokraten einen grundsätzlichen Kurswechsel: Sie müßten aufhören, die Probleme, etwa bei Migration und Integration, zu ignorieren; müßten fort von Moralisierung und Minderheitenrechten; und, das vor allem, müßten die soziale Frage neu stellen. 

Die aber spiele im Bewußtsein vieler, die sich politisch links verorten, keine Rolle. „Das liberale Bürgertum“, so Heisterhagen, „wähnt sich links, bildet aber tatsächlich eine Allianz mit dem neoliberalen Großkapital. Man stellt Selbstverwirklichung, Toleranz und Weltoffenheit in den Vordergrund, hypt den Multikulturalismus und wirbt dafür, beinahe jegliche Differenzen zu ertragen.“ Kulturelle und gesellschaftliche Fragen stünden zur Debatte, nicht sozio-ökonomische. Hinter dem großen Ganzen, der Vermüllung der Meere, dem Klimawandel oder weitentfernten Kriegen, verschwinde die Armut der einfachen Deutschen. Statt über Fragen der wirtschaftlichen Partizipation redeten Linke lieber „darüber, wie doof sie Trump finden und welche Werte sie gegen die Rechtspopulisten verteidigen wollen“.

Damit sei diese Klientel nicht mehr „links“ im traditionellen Sinn, sondern lediglich progressiv. Das aber sei die Position der Grünen, und nicht zufällig steigen die in der Wählergunst. Zudem sei diese progressive Haltung inzwischen auch die von Angela Merkel, Armin Laschet und großen Teilen der CDU. Da bleibe wenig für eine SPD, die die soziale Frage nicht mehr stelle und liberalistisch geworden sei. Auch in der SPD vertraue man im Grunde dem Markt, Kapitalismuskritik sei verpöhnt. Stattdessen konzentriere man sich darauf, „jeden Morgen den antirassistischen und antisexistischen Fahnenappell zu leisten“.

Mit solchen Provokationen steht man in der Partei einer Andrea Nahles weitgehend allein. Und auch Heisterhagens Kritik am vielen „Mittelmaß“ der SPD hat ihm unter Funktionären nicht nur Freunde gemacht. Doch die inhaltlichen Defizite, die für den Niedergang der Sozialdemokratie stehen, sind eben auch personelle.

Mehr Kapitalismuskritik, weniger Kulturkampf. Das ist Heisterhagens Empfehlung für die SPD. Doch die Zuwanderung von Millionen unqualifizierten Versorgungsempfängern ist beides: eine Frage der sozialen Gerechtigkeit wie auch eine kulturelle. Doch solange die SPD die offenen Grenzen verteidigt, liegt hier ihr wahres Dilemma.