© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/19 / 22. Februar 2019

High Noon in Heidenheim
AfD Baden-Württemberg: Den Parteitag erwartet eine Schlammschlacht der verfeindeten Lager / Landtagsfraktion ist faktisch gespalten
Christian Vollradt

Eine Schlacht von Heidenheim gab es schon einmal, im Jahre 1462, während des Reichskriegs gegen Bayern. Am Wochenende könnte es im Städtchen an der Brenz, unterhalb des Schlosses Hellenstein, zur zweiten kommen. Nicht weniger als eine „Entscheidungsschlacht“ stehe bevor, heißt es allenthalben mit Blick auf den Landesparteitag der AfD Baden-Württemberg. Den „blutigsten“ in der Geschichte der Südwest-Partei prophezeit gar ein ehemals führender Funktionär der Partei.

Formal geht es zunächst in erster Linie um die Wahl eines neuen Vorstands. Der Landesvorsitzende Marc Jongen strebt keine weitere Amtszeit an, sein Co-Sprecher Ralf Özkara hatte sich schon im Herbst vergangenen Jahres zurückgezogen und war als Referent zur AfD-Fraktion im Bayerischen Landtag gewechselt. Weil es ein Mitgliederparteitag ist, kommt es vor allem auf die Mobilisierung an. Bis zu 800 stimmberechtigte Besucher werden erwartet. Eine logistische Herausforderung.

Den Ernst der Lage kann man allein schon an einem denkwürdigen Mobilisierungsvideo ablesen. Von unterschiedlichen Drehorten aus und dennoch gemeinsam rufen Parteichef Jörg Meuthen und Bundesvorstandsmitglied Alice Weidel – beide kommen aus dem Landesverband – zur Teilnahme in Heidenheim auf. Es gehe darum, so Meuthen, die AfD „als die einzig wahre, konservative, freiheitliche, patriotische Kraft im Südwesten weiter zu etablieren“. Dazu brauche man „kluge und besonnene Köpfe in unseren Reihen“. Auch Weidel spricht von „fähigen Köpfen“, die „die Südwest-AfD in eine erfolgreiche Zukunft führen“ sollen. Dafür, so Meuthen, stelle der Parteitag „wichtige Weichen“ …

Schlag ins Gesicht           der Parteispitze

Daß es um das Verhältnis zwischen Weidel und Meuthen trotz inhaltlicher Nähe nicht zum besten stand, ist ein offenes Geheimnis in der Partei. Um so bemerkenswerter ihr gemeinsamer Appell. Auch wenn sie im Vorfeld keine Wahlempfehlung abgeben, zählen beide hinter den Kulissen zu den Unterstützern einer Führungsmannschaft um den Fraktionsvorsitzenden im Stuttgarter Landtag, Bernd Gögel, und den Bundestagsabgeordneten und bisherigen stellvertretenden Landesvorsitzenden Martin Hess. Ihnen gegenüber stehen die Vertreter des ultrarechten Lagers der Südwestpartei, allen voran die Landtagsabgeordnete Christina Baum sowie der ehemalige Fraktionsvize Emil Sänze. Während Baum noch offengelassen hatte, für welches Amt sie kandidieren werde, kündigte Sänze am Montag seine Bewerbung um den Landesvorsitz an.

In einer internen Chatgruppe hatte Baum geschrieben, sie bitte „alle Getreuen“, nur „aufrechte Patrioten zu wählen“. Denn „die ‘Halben’, sprich die Opportunisten, die wir unterstützt haben, haben uns allesamt enttäuscht“. Das ist offenbar auf Fraktionschef Gögel gemünzt, dem die Gruppe um Sänze und Baum vorwirft, das Parteiausschlußverfahren gegen den Landtagskollegen Stefan Räpple maßgeblich betrieben zu haben. „Nein, dieses Mal müssen wir aufs Ganze gehen. Entweder wir bekommen einige von den ‘Ganzen’ durch oder eben nicht. Dann sollen die Mitglieder auch mit dem klarkommen, was sie gewählt haben.“ Vielen in der Partei war indes sauer aufgestoßen, daß die sich als innerparteiliche „Rebellen“ gerierenden Initiatoren des sogenannten „Stuttgarter Aufrufs“ (JF 45/18) im schwäbischen Burladingen ein Treffen abgehalten und gegen die innerparteiliche „Arbeitsgruppe Verfassungsschutz“ und angebliche „Denk- und Sprechverbote“ gewettert hatten. Dies wird als klare Positionierung gegen die Linie der Parteiführung gewertet, mit der diese eine mögliche Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz zu verhindern sucht.

Auf einer Klausurtagung der Landtagsfraktion Anfang Januar hatten Sänze und seine Mitstreiter versucht, den Fraktionsvorsitzenden Gögel zu stürzen, waren jedoch an der notwendigen Zweidrittelmehrheit gescheitert. In einem Brandbrief an sämtliche AfD-Kreisvorsitzende in Baden-Württemberg beklagen sich die Gögel-Gegner über „ungesunde Entwicklungen und Mißstände im Innenleben der Partei“. Von „Hexenjagden auf angebliche ‘Radikale’, Denunziationen und gezielten Indiskretionen gegeüber der Presse“ ist die Rede. Außerdem, so der Vorwurf, habe ein Teil der Fraktion für eine Blamage gesorgt, als mindestens vier Mitglieder Räpple die Zustimmung bei der Wahl als Schriftführer verweigert hätten.

Gegen den Landtagsabgeordneten Räpple läuft seit Januar ein Parteiausschlußverfahren. Die Vorwürfe gegen ihn lauten unter anderem „Verletzung der Beitragspflicht“, „Täuschung der Delegierten auf der Europawahlversammlung“ und „Beleidigung von Parteimitgliedern“. Außerdem hatte Räpple im vergangenen Jahr verkündet, er stehe „voll und ganz“ hinter einer Aussage von Wolfgang Gedeon. Der Abgeordnete, der wegen antisemitischer Aussagen die Stuttgarter Landtagsfraktion verlassen mußte, hatte auf Facebook sein Unbehagen über die Gründung der „Juden in der AfD“ zum Ausdruck gebracht: Hierbei könne es sich um eine „zionistische Lobbyorganisation“ handeln, „die den Interessen Deutschlands und der Deutschen zuwiderläuft“. Mit seiner Zustimmung, so der bisherige Landesvorstand einstimmig, habe Räpple der Partei Schaden in der Öffentlichkeit zugefügt. 

Ebenfalls um den Posten als Parteivorsitzender will sich der Stuttgarter Bundestagsabgeordnete Dirk Spaniel bewerben, wie er gegenüber der JUNGEN FREIHEIT bestätigte. Sein Anliegen sei es, das „thematische Portfolio der AfD zu erweitern – etwa durch Verkehrs- und Industriepolitik“. In Parteikreisen wird gemutmaßt, hinter dieser Entscheidung könne auch ein in der Bundestagsfraktion ausgebrochener Konflikt zwischen Spaniel und Fraktonschefin Weidel stecken. 

Zudem kursiert das Gerücht, auch die entmachtete frühere schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Doris von Sayn-Wittgenstein könnte in Heidenheim für ein Vorstandsamt kandidieren. Sie klagt derzeit gegen den Bundesvorstand, weil der ein Parteiausschlußverfahren gegen sie eingeleitet hat. Partei-Insider betonen, daß eine Entscheidung zugunsten des Lagers Sänze-Baum-Räpple ein Schlag ins Gesicht der Bundesspitze wäre. „Was nützen all die Abwehrmaßnahmen gegen eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz, wenn dann solche Leute das Ruder übernehmen?“ fragt ein Mitglied – eher rhetorisch. 

„Verantwortungslos         und destruktiv“

Ein anderes warf Sänze und vor allem Baum, die sich „als inoffizielle Statthalterin von Björn Höcke im Südwesten geriere“, vor, „verantwortungslos und destruktiv“ zu agieren. Sie verkörperten „eine Minderheit, allerdings eine sehr laute“. Ihr Brief sei gespickt mit Halbwahrheiten und der Versuch, mit Tricks die Mitglieder zu beeinflussen. Falsch sei etwa, so ist aus Parteikreisen zu erfahren, die Darstellung, während der Fraktionsklausur sei der ehemalige Republikaner-Chef Rolf Schlierer präsentiert worden, „um die Position des Fraktionsvorsitzenden zulegitimieren“. Damit habe man, so Sänze und seine Mitstreiter, ein „fatales Signal“ gesendet, denn „Führungspersonal gescheiterter Parteien dürfe keine bezahlte oder beratende Funktion“ in der AfD übernehmen. 

Tatsächlich wurde Schlierer von der gesamten Fraktion eingeladen. Wie Schlierer der jungen freiheit mitteilte, habe er in erster Linie die Auswirkungen der damaligen Beobachtung geschildert. „Wir hatten uns juristisch erfolgreich gegen den Verfassungsschutz gewehrt, doch die Partei war anschließend kaputt“, so der frühere Republikaner-Vorsitzende. Mit seiner Mahnung an die AfD-Fraktion, daraus Lehren zu ziehen und Fehler zu vermeiden, sei er allerdings nicht bei allen durchgedrungen.

 Sorgen bereiten manchem AfDler auch jene „unbedarften“ Mitglieder, die ohne große Kenntnis der Vorgeschichte und der Ursachen der Konflikte zum Parteitag anreisen werden. Dann komme es immer wieder zur Aufforderung, doch endlich den internen Streit beizulegen, denn der „Feind stehe draußen“. Doch es sei endlich an der Zeit, für klare Verhältnisse zu sorgen.

Das sieht man offenbar im AfD-Bundesvorstand mehrheitlich genauso. Die erwartete „Entscheidungsschlacht von Heidenheim“ betreffe nicht nur den Landesverband Baden-Württemberg, sondern die gesamte Partei. Egal wie es am Wochenende ausgeht, halten Beobachter ein Auseinanderbrechen der Stuttgarter Landtagsfraktion für nicht unwahrscheinlich. Doch wer die Fraktion verläßt, verliert automatisch die Parteimitgliedschaft. Diese Regelung war nach der Fraktions-Wiedervereinigung im Oktober 2016 auf ausdrücklichen Wunsch von Emil Sänze in die Geschäftsordnung übernommen worden.