© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/19 / 22. Februar 2019

„Ich lasse mir nicht den Mund verbieten“
Kahane-Tagung: Die „rechte Gefahr“ bei den DDR-Opfern
Christian Vollradt

Von der Resonanz war Veranstalterin Anetta Kahane offenbar selbst überrascht worden. 70 Personen sollen sich zu ihrer „historisch-politischen Fachtagung“ zum Thema „Der rechte Rand der DDR-Aufarbeitung“ in den Räumen der Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS) am Donnerstag vergangener Woche angemeldet haben. Aus Platzgründen, so die offizielle Begründung, fanden nur 30 Leute Einlaß. Draußen bleiben mußten neben vielen, die sich im Vorfeld kritisch zum Gegenstand der Tagung wie zu ihrer Veranstalterin positioniert hatten, auch zahlreiche Journalisten. 

Worum ging es bei der mit 4.900 Euro von der Landeszentrale für politische Bildung geförderten Veranstaltung? Während der Debatte um die Entlassung des Leiters der Gedenkstätten im früheren Stasi-Gefängnis von Berlin-Hohenschönhausen sei in den Hintergrund getreten, daß Hubertus Knabe „auch eine Scharnierfunktion zu den rechten Rändern der DDR-Aufarbeitung“ gehabt habe, unterstellen die Organisatoren in ihrem Einladungsschreiben. So machen sie ihm zum Vorwurf, er habe „Nationalsozialismus und SED-Sozialismus als zwei ‘sozialistische’ Seiten einer totalitären Medaille“ betrachtet und beide Regime analogisiert – „eine am rechten Rand typische Grenzüberschreitung“. Zudem sei eine Reihe vormaliger DDR-Bürgerrechtler – namentlich erwähnt wird etwa Siegmar Faust – „weit nach rechts abgedriftet“, und der (ehemalige) Vorsitzende des Fördervereins der Gedenkstätte Hohenschönhausen publiziere „– wie andere Akteure der Szene – in Rechtsaußenblättern wie der JUNGEN FREIHEIT“.

Steht also ein neuer Historikerstreit bevor, fragen die Veranstalter. Jedenfalls sehen sie Diskussionsbedarf. Für beides, den Streit wie um so mehr die Diskussion, benötigt man in der Regel jedoch beide Seiten, sprich Vertreter aller am Konflikt beteiligten Parteien. Doch von denen, die man am „rechten Rand“ verortet, war niemand aufs Podium geladen worden. Der Vorwurf der Veranstaltungskritiker, die sogar vor der Tür eine kleine Demonstration abhielten, in der AAS habe man steuerfinanziert unter sich bleiben wollen, war naheliegend. Immerhin kündigte Kahane laut Teilnehmern an, die Veranstaltung, die eigentlich nur als Arbeitssitzung geplant war, solle eine Fortsetzung finden – dann auch kontrovers.

Ein Tribunal sei „nicht intendiert“, hatten die Veranstalter in der Ankündigung geschrieben; doch genau solch einen Eindruck erweckte das Ganze bei manchem Zuhörer. Allgemeiner Tenor sei gewesen: Alle sind froh, daß Hubertus Knabe, der sich auch für eine Immunisierung junger Leute gegen Linksextremismus stark gemacht hatte (JF 29/18), in der Aufarbeitungsszene keine Rolle mehr spielt. Einig sei man sich auch gewesen, daß gegen die „rechte Gefahr“ aktiv gehandelt werden müsse. Rechte Tendenzen habe es in der Opferszene schon immer gegeben, führte der frühere SPD-Politiker Stephan Hilsberg (JF 46/18) in seinem Erfahrungsbericht aus. In der Regel seien die Opfergruppen damit selber fertig geworden. „Durch das Erstarken der AfD innerhalb weniger Jahre hat sich diese Situation geändert, nationalistische und demokratie-feindliche Positionen sind erstarkt. Sie bemühen sich, den Diskurs über die Aufarbeitung mitzubestimmen, und sie instrumentalisieren die DDR-Vergangenheit, um ihr eigentliches Ziel, die Diskreditierung der Demokratie zu erreichen“, so die steile These des einstigen Staatssekretärs, der sich mit seinen früheren Mitstreitern im Förderverein der Gedenkstätte Hohenschönhausen überworfen hatte. Insgesamt kam in den Beiträgen ein generelles Mißtrauen gegenüber den Zeitzeugen zum Ausdruck. Dabei wurde – mehr oder weniger direkt – unterstellt, daß während der Führungen in der Gedenkstätte politische Positionen der AfD vertreten worden seien. 

Die beiden Gedenkstätten-Mitarbeiter Peter Erler und Jörg von Bilavsky wiesen indes die Darstellung der Referentin Annica Peter zurück, in Hohenschönhausen werde die Geschichte einseitig „gegen links“ gedeutet. Ein weiterer Vorwurf lautete, dort würden Besuchergruppen mit Darstellungen „überwältigt“, was im Widerspruch zum „Beutelsbacher Konsens“ stehe (JF 43/18). 

Stärkere Kontrolle       der Gedenkstätten

Der Vorsitzende der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG), Dieter Dombrowski, der sich wegen seiner Rolle im Zusammenhang mit der Entlassung von Gedenkstättenleiter Hubertus Knabe und auch wegen seiner Teilnahme an der Veranstaltung der Amadeu-Antonio-Stiftung harsche Kritik aus den eigenen Reihen hatte gefallen lassen müssen, widersprach der These, die UOKG sei rechts. Er nahm auch den Ehrenvorsitzenden Gerhard Finn in Schutz, dem neuerdings unterstellt wird, er habe seinen jahrzehntelangen Kampf gegen die DDR mit „rechter Motivation“ betrieben. 

Nicht erschienen war laut Teilnehmern der im Programm angekündigte Referent Markus Decker. Der Journalist hatte (unter anderem für die Berliner Zeitung) zahlreiche Artikel geschrieben, in denen er die Arbeit Knabes oder des früheren Fördervereinsvorsitzenden Jörg Kürschner kritisierte (JF 34/18).

Hartmut Richter, der 33 Menschen zur Flucht aus der DDR verholfen hatte und dafür vom SED-Regime fünf Jahre inhaftiert worden war, resümierte, die Veranstaltung habe trotz einiger sachlicher Beiträge überwiegend Tribunal-Charakter gehabt. Doch er lasse sich „nicht den Mund verbieten, auch wenn die Zeitzeugen in den Gedenkstätten künftig stärker kontrolliert werden sollten“, bekräftigte er gegenüber der jungen freiheit.