© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/19 / 01. März 2019

Gerichtsentscheid über Wahlrecht für geistig Behinderte
Wohlfühlgesellschaft
Jörg Kürschner

Mit dem Zauberwort „Inklusion“ sind Union und SPD unter Anleitung der Grünen auf dem Weg in die diskriminierungsfreie Gesellschaft. Im Kindergarten, in der Schule und jetzt auch in der Wahlkabine sollen behinderte Menschen gleichberechtigt und selbstbestimmt neben Nichtbehinderten handeln dürfen. Ein Ausschluß vom aktiven Wahlrecht kann jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein, wenn eine Personengruppe nicht ausreichend an der Kommunikation zwischen Volk und Staatsorganen teilnehmen kann, wie das Bundesverfassungsgericht soeben entschieden hat. Doch Lobbyverbände und Koalition verweisen lieber darauf, daß Menschen, die auf gerichtlich bestellte Betreuung angewiesen sind, nicht pauschal von Wahlen ausgeschlossen werden dürfen, wie es in dem Entscheid auch heißt. So kommt man dem Traum von der Wohlfühlgesellschaft näher. 

Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Traurig, aber wahr: Die politische Willensbildung geistig behinderter Menschen ist bestenfalls indifferent. Einem Pfleger darf das höchstpersönliche Wahlrecht nicht übertragen werden. Zudem besteht die Gefahr der Manipulation, gehen Wahlen doch immer knapper aus. Die meisten der 1,4 Millionen Demenzkranken haben ihr Wahlrecht nicht verloren. Eine rechtliche Grauzone. Warum soll eine Mutter, die ihren Sohn nicht erkennt, über die Zusammensetzung des höchsten deutschen Parlaments bestimmen?