© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/19 / 01. März 2019

Staatsdiener im Visier
Beamte: Der Bundesinnenminister läßt prüfen, inwieweit sich Parteimitgliedschaft und Amtspflichten vereinbaren lassen
Jörg Kürschner

Einen Monat nach der Entscheidung des Verfassungsschutzes (VS), die AfD als Prüffall, die Junge Alternative (JA) und den Flügel als Verdachtsfall zu behandeln, hat der oberste Dienstherr der Kölner Behörde, Horst Seehofer, nachgelegt. Er habe seine Mitarbeiter gebeten, „noch mal sehr genau für mich zu prüfen“, wie sich eine Parteimitgliedschaft und politische Äußerungen mit den Pflichten eines Beamten vertragen, betonte der Bundesinnenminister. Die Prüfung beziehe sich nicht nur auf Rechts-, sondern auch auf Linksradikale, versicherte der CSU-Politiker vorsorglich. „Man könnte auf die Idee kommen, daß da eine Kampagne vorliegt“, meinte AfD-Parlamentsgeschäftsführer Bernd Baumann ironisch zur JUNGEN FREIHEIT.  

Seehofers niedersächsischer Kollege Boris Pistorius (SPD) ging noch etwas weiter: Er könne sich vorstellen, Beamte künftig überprüfen zu lassen, wenn sie Funktionäre bestimmter AfD-Teilorganisationen sind, sagte er in einem Zeitungsinterview. Einfache Mitglieder könnten wohl nicht vom Dienst suspendiert werden, meinte Pistorius. „Aber wer den Bestand einer dann als verfassungsfeindlich eingestuften Organisation durch herausgehobene Funktionärsämter oder Wahlkandidaturen weiter sichert, muß sich Fragen seines Dienstherrn gefallen lassen.“ (siehe Interview)

Erhebliche persönliche Konsequenzen

Der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Sören Schmidt, betonte, es gehe nicht darum, die Parteizugehörigkeit aller Beamten festzustellen oder gar um eine Gesinnungsprüfung mit disziplinarischen Folgen. In der Tat sind die rechtlichen Möglichkeiten beschränkt, gegen Beamte vorzugehen, die Mitglied einer vom Verfassungsschutz beobachteten Partei sind. „Ein Beamter verletzt nicht seine Verfassungstreuepflicht, wenn er als Mitglied in der Partei tätig bleibt, sofern er sich für eine verfassungsmäßige Ausrichtung der Partei einsetzt und sich von den verfassungsfeindlichen Bestrebungen innerhalb der Partei distanziert. Disziplinarmaßnahmen wegen aktiver Betätigung in einer solchen Partei hat ein Beamter dann nicht zu befürchten. 

Dies gilt jedenfalls, solange verfassungsmäßige Kräfte innerhalb der Partei die Oberhand haben oder sich jedenfalls noch mit Aussicht auf Erfolg für einen verfassungsmäßigen Kurs der Partei einsetzen können“, heißt es in dem Kurzgutachten des Rechtswissenschaftlers Dietrich Murswiek im Auftrag der AfD. Er macht allerdings darauf aufmerksam, daß sich schon die Beobachtung einer Partei nachteilig auf eine Bewerbung eines Beamten auswirken könne. Murswiek rät deshalb allen Beamten, Angestellten und Soldaten, „sich im Falle der Beobachtung ihrer Partei durch den VS von verfassungsfeindlichen Kräften innerhalb der Partei entschieden abzugrenzen und sich für eine verfassungsmäßige Ausrichtung der Partei einzusetzen“. Derartige Bemühungen wie etwa Anträge oder Redebeiträge sollten dokumentiert werden.

Der unverhohlenen Drohkulisse gegenüber Beamten in der AfD liegt die Erkenntnis zugrunde, daß sich offenbar überproportional viele Polizisten, Richter, Staatsanwälte und  Soldaten von dem sicherheitspolitischen Programm der Partei angesprochen fühlen. 

Das Spannungsverhältnis zwischen der Verfassungstreue von Beamten und ihrem Recht auf parteipolitische Betätigung zieht sich wie ein roter Faden durch das Verfassungsrecht. 1992 gelang den Republikanern (REP) bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg ein Überraschungserfolg. Satte 10,9 Prozent schaffte die konservativ-nationale Partei. Noch im selben Jahr beschloß die Innenministerkonferenz einstimmig, die Republikaner von den Verfassungsschutzbehörden überwachen zu lassen. Vorher hatten dies nur Nordrhein-Westfalen und Hamburg getan. Seinerzeit wurde gemutmaßt, der Beschluß beruhe weniger auf neuen Erkenntnissen als auf dem unerwarteten Wahlerfolg, sei also vor allem als politisches Signal gedacht, um die Partei als rechtsextrem zu stigmatisieren. Eine Einschätzung, die der Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke stützt. Der Extremismusforscher betonte im vergangenen Herbst: „Eine zwingende Entscheidung ist das nicht gewesen. Ob die Republikaner rechtsextrem waren, läßt sich aus einer sozialwissenschaftlichen Sicht schwer beantworten. Sie hatten starke rechtskonservative Strömungen, sie hatten auch rechtsextreme Strömungen, sie hatten aber auch eher konservative Strömungen. Es war eine Mischfiguration“. Nach einigen Anfangserfolgen Ende der achtziger und in den neunziger Jahren sind die REP heute politisch bedeutungslos.

Bereits in den siebziger Jahren waren parteipolitisch engagierte Beamte ins Visier des Staates geraten. Anfang 1972 hatten die Ministerpräsidenten der Länder und die sozialliberale Bundesregierung den Radikalenerlaß unterzeichnet. Unter Verweis auf die Beamtengesetze wurde beschlossen, Staatsdiener müßten jederzeit Gewähr dafür bieten, für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten; innerhalb und außerhalb ihres Dienstes. Der Erlaß richtete sich insbesondere gegen Mitglieder der DKP und der NPD. Er trägt die Unterschrift von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD). Dafür hat sich die SPD später geschämt, war es doch linksorientierten Verbänden mit der Kampagne „Weg mit den Berufsverboten“ gelungen, die Befürworter des Radikalenerlasses in die Defensive zu drängen. 1991 stellte Bayern als letztes Land die Regelanfrage beim Verfassungsschutz ein, ob ein Bewerber grundgesetztreu ist. 

Politische Parteien können aufgrund des sogenannten Parteienprivilegs nur vom höchsten deutschen Gericht, dem Bundesverfassungsgericht, verboten werden. 1952 wurde die Sozialistische Reichspartei (SRP), die sich in der Tradition der NSDAP sah, verboten, vier Jahre später die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), die nach Ansicht der Richter die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen wollte. Die Verbote hatten für die Mitglieder erhebliche persönliche Konsequenzen. Sie verloren ihren Arbeitsplatz insbesondere, wenn sie im öffentlichen Dienst beschäftigt waren.