© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/19 / 01. März 2019

Ein Weg zurück
Terrorismus: Wohin mit deutschen Staatsbürgern, die in Verbrechen des Islamischen Staats verwickelt waren?
Peter Möller

Wäre das Thema nicht todernst, könnte die Überschrift für die Diskussion über die Rückkehr von IS-Kämpfern nach Deutschland passend zum Höhepunkt der Karnevalszeit lauten: „Wolle mer se reinlasse?“

Seit der amerikanische Präsident Donald Trump vor knapp zwei Woche die westlichen Verbündeten über Twitter aufgefordert hat, ihre im amerikanischen Einflußgebiet Syriens inhaftierten Staatsbürger, die auf der Seite des „Islamischen Staates“ (IS) gekämpft haben, zurückzuholen, wird das brisante Thema von Politik und Sicherheitsexperten intensiv diskutiert. Derzeit halten die Kurden in Nordsyrien rund 3.000 frühere IS-Mitglieder und deren Familien fest. Darunter befinden sich schätzungsweise 40 deutsche Staatsbürger mit rund 80 Kindern. 

Auch hier gilt: Ein Restrisiko bleibt

In Berlin zeichnete sich schnell über Parteigrenzen hinweg eine gemeinsame Haltung ab, die sich an dem rechtlichen Grundsatz orientiert, daß die Bundesrepublik keinem ihrer Staatsbürger die Einreise verweigern darf. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) stellte indes Bedingungen für die Rückkehr von ehemaligen IS-Kämpfern. Diese dürften nur nach Deutschland zurückkehren, wenn ihre Identität zweifelsfrei geklärt sei und sie kein unkalkulierbares Sicherheitsrisiko darstellten, sagte Seehofer der Süddeutschen. Es müsse zudem klar sein, welche Ermittlungsergebnisse es gegen die jeweilige Person gibt. „Ich möchte keine gefährlichen Leute aufnehmen, wenn wir nicht die Sicherheit gewährleisten können, daß wir sie hier zum Beispiel wieder in Haft nehmen können, weil sie mit einem Haftbefehl gesucht werden“, sagte Seehofer.

Ähnlich äußerte sich auch Oppositionschef Alexander Gauland (AfD): „Rechtlich bleibt Deutschland leider kaum eine andere Möglichkeit, als seine Staatsbürger wieder ins Land zu lassen, auch wenn sie für den IS gekämpft haben.“ Aber es müsse absolut sichergestellt werden, daß von diesen Personen keinerlei Gefahr für die deutsche Bevölkerung ausgehen könne. „Sie müssen rund um die Uhr überwacht und umgehend vor Gericht gestellt werden“, forderte der Vorsitzende der AfD-Fraktion.

Auch aus Sicht des nordrhein-westfälischen Innenministers Herbert Reul (CDU) gibt es aus rechtlicher Sicht keine Alternative dazu, IS-Kämpfer mit deutschem Paß zurückzuholen. Das sei besser als eine unkontrollierte Rückkehr. In den vergangenen Jahren waren 262 Personen aus Nordrhein-Westfalen ins Kriegsgebiet ausgereist. Von ihnen befinden sich laut Landesamt für Verfassungsschutz noch 119 in Syrien. Insgesamt sind nach Angaben des Bundesinnenministeriums seit 2013 1.050 Personen aus Deutschland ins syrische und irakische Kriegsgebiet ausgereist, um sich dem IS anzuschließen. Etwa 200 kamen ums Leben. Rund ein Drittel ist bereits nach Deutschland zurückgekehrt. Reul kündigte an, schon vor der möglichen Wiedereinreise Haftbefehle auszustellen, die es der Polizei ermöglichen, die Rückkehrer gleich bei der Einreise zu verhaften. Doch dafür ist es erforderlich, daß die Behörden ausreichend Beweise haben, was häufig nicht der Fall ist. 

Nach Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung wurden bislang 18 Haftbefehle gegen deutsche IS-Kämpfer erlassen. Grund dafür, einen IS-Kämpfer zu verhaften, kann etwa die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach Paragraph 129b des Strafgesetzbuches sein. Das ist in Deutschland auch strafbar, wenn die Organisation – wie etwa der IS – im Ausland operiert. Auch die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat ist strafbar. Seit 2015 kann bereits der Versuch belangt werden, zu diesem Zweck aus Deutschland auszureisen. Doch in allen Fällen gilt: Dem Betroffenen muß seine Tat nachgewiesen werden. Experten bezweifeln, daß auf absehbare Zeit für die meisten verdächtigen deutschen IS-Kämpfer genug Erkenntnisse zusammengetragen werden können, um sie zu verhaften und vor Gericht zu stellen. Am Ende dürften viele Rückkehrer daher auf freiem Fuß bleiben – ohne zu wissen, wer davon ungefährlich und wer möglicherweise zu Terroranschlägen in Deutschland entschlossen ist.

Ist eine Verhaftung nicht möglich, würde der Rückkehrer zunächst einige Tage lang eng überwacht, kündigte der Chef des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes Burkhard Freier, an: „Wenn wir erkennen, wo er hingeht und wie er sich verhält, kann die Überwachung zurückgefahren werden.“ Doch was als vertrauensbildende Maßnahme gedacht ist, werten Kritiker als Zeichen für eine Überforderung des Staates. Denn um eine Person 24 Stunden am Tag zu überwachen, werden 20 Polizeibeamte benötigt, rechnet der Sicherheitsexperte Peter Neumann vor. Bei 50 Personen seien das schon 1.000. Das sei unrealistisch. Um das drohende Risiko für die innere Sicherheit in Deutschland zu minimieren, ist der Bundesnachrichtendienst dem Vernehmen nach bereits dabei, in den syrisch-kurdischen Gefängnissen zu ermitteln, wer von den möglichen Rückkehrern nach wie vor gefährlich ist, und wer sich ganz vom islamischen Staat abwenden möchte. Auch hier gilt: ein Restrisiko bleibt.

Doch dieses dürfte fürs erste beherrschbar sein. Denn am Wochenende stellte der kurdische Außenbeauftragte Abdulkarim Omar in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) klar, daß die 800 ausländischen Gefangenen in kurdischen Händen und nicht in der Gewalt der Vereinigten Staaten seien. Trump könne daher nicht über das Schicksal der IS-Kämpfer entscheiden. „Wir werden mit den IS-Mitgliedern gemäß den internationalen Verträgen und Konventionen umgehen, und wir werden sie nicht freilassen“, sagte Omar der FAS.