© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/19 / 01. März 2019

Notwendiges Übel
Parteitag: Die intern zerstrittene Linkspartei hat sich auf einen Kompromiß geeinigt und will Europa nach links verschieben / „Pragmatismus und Radikalität“
Paul Leonhard

Aufatmen am Ende. Partei- und Bundestagsfraktionsführung ist es wieder einmal gelungen, eine Balance zwischen den widerstrebenden Positionen herzustellen. Die SED-Nachfolger haben die größte Hürde für die Europawahlen genommen. Sie haben auf dem Parteitag am Wochenende in Bonn die Risse gekittet, einen Burgfrieden geschlossen, der bis zu den Wahlen im Mai halten soll. Jetzt müssen sie nur noch Wähler finden, die der deutschen Linken zutrauen, einen Beitrag für einen radikalen Umbau der Europäischen Union zu leisten, an dessen Ende ein „sozialistisches Europa“ stehen soll. 

„Wir können und müssen die Menschen begeistern von unserem Weg in ein linkes Europa“, hat Gregor Gysi, Präsident der Europäischen Linken, die Delegierten beschworen. Sie müßten die EU als Chance und nicht als „notwendiges Übel“ begreifen. Ziel müsse es sein, das Europäische Parlament gegenüber dem Europäischen Rat und der EU-Kommission zu stärken. Auch Parteichefin Katja Kipping warb für einen „Neustart“ in Brüssel. Und Dietmar Bartsch, Chef der Bundestagsfraktion, beschwor die Geschlossenheit der Partei und formulierte ähnlich wie Gysi: „Wir  können die Menschen nur gewinnen, wenn wir selbst begeistert sind von unseren Ideen.“

Gleichzeitig warnte Bartsch vor den Rechten, die sich „Europa unter den Nagel reißen“ wollen und dabei „partiell erfolgreich“ sind. Während aber die Rechte ein autoritäres, kapitalistisches Europa wolle, so Bartsch, stehe die Linke für ein „ friedliches, demokratisches und soziales“. Ein Resümee, dem Linken-Chef Bernd Riexinger noch eins draufsetzte. 

Er präsentierte seinen Genossen so viele Feindbilder, daß diesen schier die Luft wegblieb. „Werden mit Merkel, Macron und Juncker diejenigen bestätigt, die verantwortlich sind für ein Europa der sozialen Spaltung?“ fragte er rhetorisch. Oder komme es gar zu einem Rechtsruck mit Le Pen, Orban, Kurz, Salvini und der AfD? Die einzige Chance für die Europäer ist aus Riexingers Sicht eine starke Linke als „Gegenpol zu diesen Entwicklungen“. 

Vielleicht ist die EU       doch reformierbar

Letztlich ließ sich eine Mehrheit der Delegierten davon überzeugen, daß die EU zwar ein militaristisches Monstrum ist, neoliberal und undemokratisch sowieso, auf jeden Fall nicht sozial, aber vielleicht eben doch reformierbar. Das ergab zwar noch keine zündende europäische Idee, aber damit war für alle Genossen der kleinste gemeinsame Nenner gefunden. Skeptiker durften sich im Kleinklein der Formulierungen abarbeiten, in der die Vision der „Republik europäischer Regionen“ ebenso Platz fand wie der „solidarische Internationalismus“.

Programmatisch strebt die Linke eine grundlegende Reform zu einer demokratischen, sozialen, ökologischen und friedlichen Union an, in der die Interessen der Mehrheit der Menschen und nicht die Freiheit des Marktes oder die Interessen einzelner Regierungen an erster Stelle stehen sollen.  Gegen grenzenlose Ausbeutung großer Konzerne helfe nur grenzenlose internationale Solidarität, sagte Riexinger. Die Linke wolle Lohndumping beenden, für europäische Mindestlöhne sorgen, die Rechte der Gewerkschaften stärken und Steueroasen trockenlegen.

Der Kohleausstieg soll in ganz Europa bis zum Jahr 2030 abgeschlossen sein. Waffenexporte in Länder außerhalb der Union sollen verboten werden. Sogar eine Forderung der Linksjugend nach der Möglichkeit, leerstehende Wohnungen zu beschlagnahmen, um sie dem Wohnungsmarkt zuzuführen, wurde ins Programm „Für ein solidarisches Europa der Millionen, gegen eine Europäische Union der Millionäre“ aufgenommen. Legale Flucht- und Einreisewege nach Europa sowie verbindliche Flüchtlingsrechte, die auch für Armuts-, Umwelt- und Klimaflüchtlinge gelten müssen, bleiben für die Linke selbstverständlich.Für die Umsetzung sind der Berliner Europaabgeordnete Martin Schirdewan (43) und die Verdi-Funktionärin Özlem Alev Demirel (34) aus Düsseldorf verantwortlich, die mit 83,8 bzw. 84,4 Prozent als Spitzenkandidaten für die Europawahl gekürt wurden. 

Um die Verhältnisse zu ändern, bedürfe die Linke „Pragmatismus und Radikalität“ sowie „konkrete Machtoptionen“, betonte Bartsch. Bei der letzten Europawahl waren die deutschen Linken auf 7,4 Prozent der Wählerstimmen gekommen. Damit durften sie sieben Politiker nach Brüssel schicken. Mehr werden es bei den anstehenden Wahlen auch nicht sein, sagen Analysten voraus, auch wenn Riexinger ein „zweistelliges Ergebnis“ als Ziel ausgegeben hat. 

Damit dürfte es schwierig werden, die EU „nach links zu verschieben“, wie es sich Stefan Liebich, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, wünscht.