© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/19 / 01. März 2019

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Wenn viele eine Reise machen
Paul Rosen

Der Bundestag ist nicht nur eine Volksvertretung, sondern – was das Volk aber nicht weiß – auch ein großes Reisebüro. Vor deutschen Abgeordneten ist kein Kontinent sicher – außer vielleicht die Antarktis. Selbst Berührungsängste zum politischen Gegner spielen keine Rolle, wenn man zu anderen Kontinenten reisen kann: So finden sich Grünen- und AfD-Politiker Seit’ an Seit’, wenn es darum geht, fremde Länder auf Steuerzahlers Kosten zu erkunden. 

Der Haushaltsausschuß des Parlaments ist derzeit im ehemaligen deutschen Schutzgebiet Südwestafrika, dem heutigen Namibia, sowie in Südafrika unterwegs. Natürlich geht es um den Klimaschutz, damit das viele verbrauchte Kerosin nicht ganz umsonst durch die Düsen des Flugzeugs geströmt ist: Christian Haase (CDU), Esther Dilcher (SPD), Peter Boehringer (AfD), Oliver Luksic (FDP) und Anja Hajduk (Grüne) wollen sich unter anderem über „Projekte zur Verarbeitung von Busch-Biomasse“ informieren. Wenn man bei der Fahrt zu solchen Projekten zufällig an Sehenswürdigkeiten vorbeikommt, wird angehalten. Reisen soll schließlich bilden. Weitere Ziele anderer Gremien: Kamerun, China, Hongkong, Dominikanische Republik, Haiti und Argentinien. 

Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) unternimmt die weiteste und längste Reise dieses Jahres. Kiribati und Fidschi im Pazifischen Ozean sind ihre Ziele. Motto der Reise: „Folgen der Klimakrise“. Bei Kiribati und Fidschi handelt es sich um Inseln, die vor jeder Klimakonferenz urplötzlich in den Nachrichten auftauchen und danach genauso schnell wieder verschwinden. Ob der Meeresspiegel dort ansteigt, ist unter Wissenschaftlern umstritten. Aber für Frau Roth und ihre Mitreisenden Matthias Zimmer (CDU) und Frithjof Schmidt (Grüne) steht das Ergebnis schon fest: „Für die Menschen in diesen Ländern ist die Klimakrise längst kein theoretisches Phänomen mehr“, ist in einer Pressemitteilung des schwarz-grünen Reisemeister-Dreigestirns zu lesen. Beim Zwischenstopp in Bangladesch könnten Roth und ihre Mitreisenden auf eine Delegation der Deutsch-Südostasiatischen Parlamentariergruppe treffen, bestehend aus Tobias Pflüger (Linke), Gabriele Katzmarek (SPD) und Bettina Stark-Watzinger (FDP), die sich „intensiv mit den Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie“ befassen wollen. 

Mitglieder der deutsch-pazifischen Parlamentariergruppe sind Vizepräsidentin Roth auf den Fersen: Papua-Neuguinea, zum Teil auch ehemalige deutsche Kolonie, ist eines ihrer Reiseziele. Gisela Manderla (CDU), Johann Saathoff (SPD), Marc Bernhard (AfD), Martin Neumann (FDP) und Filiz Polat (Grüne) wollen da nach den Folgen des Klimawandels Ausschau halten. Ob sie ins Inselinnere vorstoßen, ist nicht bekannt. Dort steht noch ein Denkmal für den Kolonisten Curt von Hagen (1859–1897), nach dem die Stadt und ein 3.363 Meter hoher Berg in der Nähe benannt sind. Mount Hagen ist bekannt für besonders edlen Kaffee, der seinen Weg schon lange nach Deutschland findet – auch ohne daß reiselustige Bundestagsabgeordnete dort Wirtschaftskontakte geknüpft hätten.