© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/19 / 01. März 2019

Feuer erloschen, doch jede Menge Glut
Frankreich: Die Gelbwesten-Bewegung stagniert / Gewalt zeigt Wirkung in der Bevölkerung
Jürgen Liminski

Wie geht es weiter mit den Gelbwesten? Zwei aktuelle Daten lassen Zweifel aufkommen. Erstmals wünscht eine Mehrheit, immerhin 55 Prozent, daß die Bewegung  ihre Wochenend-Demonstrationen beende. Und für die EU-Wahl haben mehrere Umfrage-Institute ermittelt, daß die Gelbwesten, wenn sie denn mit einer eigenen Liste anträten, mit drei Prozent der Stimmen rechnen könnten.

Der Trend kommt nicht überraschend. Europa ist weit und gehört nicht zu den Herzensthemen der Gelbwesten. Außerdem ist die Bewegung nach wie vor nicht strukturiert, die Demonstrationen werden ad hoc geplant, Orte über das Internet kommuniziert. 

Macrons „Debatte“ hat viele Protestler narkotisiert 

Zwar lag die Wahlabsicht Anfang Februar noch bei zwölf Prozent, aber als die ersten potentiellen Kandidaten ihr Haupt erhoben, standen sie sofort unter Beschuß – auch aus den eigenen Reihen, so daß sie ihre Ankündigungen wieder zurücknahmen.

Überhaupt war die fehlende Geschlossenheit der Gelbwesten das Einfallstor für Radikale aller Art. Dies ist den Behörden auch bekannt. Beim 13. Aktionstag filmte die Polizei in Paris einen Krawallmacher vier Stunden lang, bevor sie zugriff. Dabei konnte er nicht typischer sein: schwarz gekleidet, maskiert, Rucksack, Hammer in der Hand. Er zerstörte Schaufenster, zündete Autos an, darunter auch einen Polizeiwagen. 

Die Polizei begnügte sich damit, ihn zu filmen, weil, so hieß es später im Polizeibericht, „so viele feindliche Demonstranten in der Nähe waren“. Als man ihn schließlich in der Nobelstraße Avenue Georges V festnimmt, führt man einen alten Bekannten ab: Thomas P., 25 Jahre alt, ist bei den Richtern und Sicherheitsdiensten als Anarchist und Krawallo bekannt. 

So wie er nutzten auch am vergangenen Wochenende in Clermont-Ferrand an die hundert Radikale die Demonstrationsbühne der Gelbwesten, um Schaufenster und Bankfilialen zu zertrümmern. Auch hier griff die Polizei erst spät ein. Sie filmt zunächst, um dem Untersuchungsrichter auch Beweise vorzulegen, weil die meist linksextremen Gewalttäter, die auch in Clermont-Ferrand zu Dutzenden aus dem Ausland kamen, sonst 24 Stunden später wieder auf freiem Fuß sind.

Am vergangenen Samstag waren wieder ein paar tausend Gelbwesten mehr zum Aktionstag gekommen. Die Polizei spricht von insgesamt 46.000 Demonstranten. Aber es ist nicht mehr die Bewegung, die am 17. November zum ersten Mal auf die Straße ging. Sie wird inzwischen von Autonomen und beutegierigen Demonstranten aus den Banlieues instrumentalisiert. 

Die meisten Gelbwesten haben das erkannt und ziehen sich zurück, sobald es gewalttätig wird. Ihnen ist klar, daß die Gewaltbilder der Bewegung und ihren Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit schaden. Auch der Schaden vor allem für den Handel ist keine Werbung. Die Verluste gehen in die Milliarden. 

Dennoch geht die Bewegung weiter. Präsident Emmanuel Macron hat mit dem Grand Débat, einer Art nationalem großen Palaver, weite Teile der Bevölkerung reden lassen und narkotisiert. De facto betreibt er Wahlkampf. Aber die Kaufkraft hat das nicht erhöht, die Arbeitslosenzahlen nicht gesenkt. Die Arbeitslosen machen zusammen mit Rentnern auch 25 Prozent der Gelbwesten aus. Hoch bleibt die Zahl der Armen (8,8 Millionen), die Hälfte der Franzosen lebt von weniger als 1.700 Euro im Monat, fünf Millionen müssen mit weniger als 850 Euro auskommen. Es sind diese Geringverdiener, die die gelbe Weste übergezogen haben, 34 Prozent aller Gelbwesten sind Angestellte, 15 Prozent Arbeiter, nur fünf Prozent leitende Angestellte. Wenn Mitte März das große Palaver beendet ist, Mitte April die Auswertung der heute schon mehr als 500.000 Vorschläge vorliegt und die Maßnahmen an der Kaufkraft nichts ändern, wird das wie ein Windstoß in Asche fahren, in der noch jede Menge Glut zu finden ist.