© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/19 / 01. März 2019

Von Reformen keine Spur
Mißbrauch in der katholischen Kirche: Eine Konferenz im Vatikan endete ohne konkrete Ergebnisse
Marco F. Gallina

Beim Mißbrauch von Minderjährigen oder bei Homosexualität in der Kirche kannte der Heilige Petrus Damiani kein Pardon. Öffentliches Auspeitschen, Bespucken, monatelange Kerkerhaft und ein halbes Jahr schwerer Arbeit als Gehilfe auf einem Hof setzte der Theologe aus dem 11. Jahrhundert als Buße an, wenn ein Kleriker eines seiner „geistigen Kinder“ belästigte oder unsittliche Küsse mit anderen Männern austauschte. Der 21. Februar ist der Gedenktag dieses Heiligen, der als Zeitgenosse Papst Nikolaus II. und des Hildebrand von Soana (später: Gregor VII.) zu den großen Kirchenreformern des christlichen Mittelalters gehört.

An einen Zufall mag man daher nicht glauben, daß Rom die Kinderschutzkonferenz, die von den Medien vielfach als vatikanischer Anti-Mißbrauchsgipfel tituliert wurde, just an einem 21. Februar einläutete. Wie so oft wußte Papst Franziskus den Medienzirkus zu bedienen: jeder, der sein Leben nur damit verbringe, anzuklagen, sei Freund und Familie des Teufels.

Das richtete sich womöglich nicht einmal in erster Linie an Kritiker außerhalb der Kirche, sondern gegen Kirchenvertreter wie den ehemaligen Apostolischen Nuntius in den USA, Carlo Maria Viganò. Der hatte dem Papst im August 2018 nicht nur vorgeworfen, von den Machenschaften solch dubioser Gestalten wie Kardinal Theodore McCarrick gewußt zu haben, sondern auch einer Homo-Lobby im Vatikan die Verantwortung an einer Kultur des Mißbrauchs zugewiesen.

Sowenig der Heilige Petrus Damiani auf der Konferenz Erwähnung fand, so wenig hat Papst Franziskus bis heute auf diese persönlichen Vorwürfe geantwortet. Auch die statistische Verquickung von Homosexualität mit Pädophilie – allein in Deutschland sind nach bisherigen Informationen zwei Drittel aller Opfer von Klerikern männlich, obwohl in gewöhnlichen Mißbrauchsstatistiken die Zahl der weiblichen Opfer höher liegt – weisen Kirchenvertreter zurück.

Auf die Nachfrage, warum das Wort „Homosexualität“ auf der Konferenz keine Erwähnung findet, obwohl 80 Prozent der Mißbrauchsopfer männlich und im postpubertären Alter seien, antwortete der maltesische Erzbischof Charles Scicluna, daß Homosexualität für diese Sünde nicht besonders anfällig mache. Kurz gesagt: ganz offensichtlich bestreitet der Vatikan, daß seine mittlerweile bekannten homosexuellen Strukturen negative Auswirkungen haben.

Das Kinderschutztreffen, zu dem Franziskus die Leiter aller Bischofskonferenzen eingeladen hatte, stand auch deswegen unter besonderer Beobachtung, weil die Kurie die Verabschiedung eines Verhaltenskodex durch die US-Bischöfe im letzten Moment verhindert hatte. Stattdessen sollte eine solche Regelung in Rom gefunden werden; der Vatikan stellte demnach einen Kodex mit globalem Anspruch in Mißbrauchsfällen in Aussicht. Zu Anfang der Konferenz forderte der Papst dann öffentlich: „Wir müssen konkret werden!“

In den drei Tagen folgten Plenarrunden, Bußfeiern und die Anhörung von Mißbrauchsopfern. Die versprochenen „Maßnahmen“ blieben jedoch aus. Die Abschlußrede des Papstes gilt kritischen Stimmen als ungenügend. „Die Rede des Papstes ist der schamlose Versuch, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen, ohne sich der Schuld und dem Versagen zu stellen und wirkliche Veränderung anzugehen“, resümierte Matthias Katsch vom deutschen Opferschutzverband Eckiger Tisch. Demnach blieb das Treffen sogar hinter den nicht verabschiedeten Beschlüssen der Generalversammlung von Baltimore im November 2018 zurück. Da mochte auch Franziskus Ankündigung („Kein Mißbrauch darf jemals vertuscht – so wie es in der Vergangenheit üblich war – oder unterbewertet werden“) nicht überzeugen. Scicluna wies darauf hin, daß weitere Anweisungen des Papstes in „unmittelbarer Zukunft“ folgen sollten: ein Dekret zum Schutz Minderjähriger, ein Handbuch als Leitfaden bei Mißbrauchsfällen und eine globale „Task Force“, die Bistümer bei Aufklärung und Aufarbeitung unterstützen soll. Marie Collins, Mißbrauchsopfer und einst Mitglied der päpstlichen Kinderschutzkommission, nahm solche Vorschläge kritisch auf: „Wir haben dieses Bekenntnis, Mißbrauch zu bekämpfen, schon oft gehört.“ Der Münchener Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, verteidigte dagegen die Rede des Papstes, die Leitlinien einer zukünftigen Strategie gegen Mißbrauch in der Kirche aufzeige. „Ich kann nicht erkennen, daß das nur qualmiges, nebulöses Gerede war“, so Marx weiter.

Franziskus enttäuschte aber nicht nur Mißbrauchsopfer und deren Vertreter oder konservative Katholiken. Auch das liberale Lager, das gewöhnlich den bergoglianischen Kurs begrüßt, sah sich vor den Kopf gestoßen. Weder der Zölibat noch eine Reform der katholischen Sexualmoral standen auf der vatikanischen Tagesordnung. Stattdessen dankte Franziskus explizit jenen Priestern, die trotz aller Verwerfungen „den Zölibat treu leben“. Thomas Schüller, Direktor am Institut für Kanonisches Recht an der Universität Münster, brandmarkte die Abschlußrede als „Fiasko“ und sprach von einer „vertanen Chance“. „Es ist das Ende des Pontifikats in dem Sinne, daß Franziskus nicht als Reformpapst in die Geschichte eingehen wird, sondern als Bewahrer“, resümierte der Theologe. 

Auch die Umstände der Konferenz hatten für Irritationen gesorgt. Zwar erging gegen den ehemaligen Kardinal McCarrick, eine Schlüsselfigur im amerikanischen Mißbrauchsskandal, eine der Höchststrafen, die das Kirchenrecht gegen Glaubensmänner kennt – nämlich dessen Laisierung, also die Entbindung von den Pflichten und Rechten seines Standes. Daß aber ausgerechnet Kardinal Blase Cupich die Konferenz mitorganisierte, hatte im Vorfeld verwundert. Der Erzbischof von Chicago steht selbst im Verdacht, McCarrick jahrelang gedeckt zu haben.

Zugleich macht Franziskus die „Causa Zanchetta“ zu schaffen. Gustavo Zanchetta erhielt 2013 von seinem frisch gewählten Landsmann das argentinische Orán als Bistum. 2017 trat Zanchetta von seinem Amt zurück – aus gesundheitlichen Gründen, wie es offiziell hieß. Zur Genesung kehrte Zanchetta in Santa Marta ein, dem Haus, in dem Franziskus damals wie heute residiert. Fünf Monate später übertrug ihm Franziskus einen Posten bei der Güterverwaltung des Heiligen Stuhls (APSA).

Heute ist dagegen bekannt, daß Zanchetta sexuelle Beziehungen mit Seminaristen unterhielt und Nacktfotos sammelte, darunter auch von Minderjährigen. Zugleich ist die APSA wegen Geldwäsche ins Fadenkreuz geraten. Daß Franziskus, der als Erzbischof von Buenos Aires eine enge persönliche Bindung zu Zanchetta pflegte, von all diesen Umständen nichts gewußt haben soll, erscheint vielen Experten als unwahrscheinlich. Das hat der Glaubwürdigkeit des Papstes bisher nicht geschadet. Noch nicht.

Vielleicht wäre demnach ein echter Reformer wie der Heilige Petrus Damiani ein besserer Vertreter auf dieser Konferenz gewesen; allein, in heutigen Zeiten erscheint es nur noch mittelalterlich, die Gerechtigkeit der Barmherzigkeit päpstlicher Prägung vorzuziehen.