© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/19 / 01. März 2019

Verkehrsverbot für Dieselfahrzeuge
Staat gegen Bürger
Wolfgang Philipp

In einer Richtlinie 2008/50EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa (Amtsblatt der Europäischen Union, L 152, S. 30) sind unter anderem für Stickstoffdioxid (NO2) Grenzwerte in Höhe eines Jahresmittelwertes von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter (40 ?g/m3) festgelegt. Diese sollen ab 1. Januar 2010, also seit mehr als neun Jahren einzuhalten sein, werden aber in einer Reihe von deutschen Großstädten auch jetzt noch überschritten. NO2 wird unter anderem von Dieselfahrzeugen ausgestoßen und soll gesundheitsschädlich sein, was aber umstritten ist. Das war zwar in aller Regel nicht den Dieselfahrern, wohl aber der Automobilindustrie und den Behörden bekannt beziehungsweise mußte ihnen bekannt sein – Konsequenzen hatte das nicht.

Erst in jüngster Zeit kam das Thema rein politisch wohl auf Druck der Grünen hoch: Es fand sich ein klageberechtigter „Umweltverein“, der in zahlreichen Fällen beantragte, Fahrverbote für Dieselfahrzeuge anzuordnen. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit bis hin zum Bundesverwaltungsgericht gab solchen Klagen statt und ließ zu oder ordnete an, daß die Städte für einzelne Straßenabschnitte (sogenannte „streckenbezogene Verbote“) oder gar ganze Stadtteile („zonale Verbote“) Fahrverbote für Dieselfahrzeuge erließen oder noch erlassen müssen, in Stuttgart zum Beispiel das gesamte Stadtgebiet.

Die Folgen dieser Entwicklung sind dramatisch: Es gibt in Deutschland rund 15 Millionen Dieselfahrzeuge. Alle Dieselfahrzeuge haben mehr oder weniger stark an Wert verloren, sind vielfach fast unverkäuflich. Sie werden, obwohl oft noch in erstklassigem Zustand, verschrottet oder ins Ausland verkauft – wo sie weiter NO2 ausstoßen. Kfz-Händler-Betrieben droht die Insolvenz, weil sie auf großen Dieselbeständen sitzenbleiben. Der Schaden dürfte einige Milliarden Euro betragen. Es handelt sich hier um einen der schärfsten Eingriffe des Staates gegen seine Bürger seit 1945. Die „Gelbwesten“-Aufmärsche – wie schon in Stuttgart – könnten sich ausbreiten.

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 27. Februar 2018 zwar verlangt, daß die Anordnung von Fahrverboten nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine „Abwägung zwischen dem Nutzen der Maßnahme und den durch diese herbeigeführten Belastungen“ erfordert. Es hat dabei immerhin festgestellt, daß ein „zonales Verbot“ wegen seiner gegenüber einem „streckenbezogenen Verbot“ sehr viel weiterreichenden Wirkungen einen erheblichen Eingriff in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) darstellt. Es hat daraus aber nur die Notwendigkeit einer „phasenweisen Einführung“ solcher Verkehrsverbote für ältere und jüngere Fahrzeuge abgeleitet. Eine Entschädigung hat es für alle Dieselfahrverbote abgelehnt. Ein „örtlich begrenztes Verkehrsverbot und der damit gegebenenfalls verbundene Marktwertverlust des Kfz stellt eine vom jeweiligen Eigentümer entschädigungslos hinzunehmende Inhaltsbestimmung des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar“.

Nicht gefragt hat sich das Bundesverwaltungsgericht, ob Fahrverbote, die im Ergebnis oft nur zur Verlagerung der Emissionen in fremde Länder führen, sachlich vertretbar sind. Auch ist der Grenzwert 40 ?g/m3 umstritten, sogar der Bundesverkehrsminister bezweifelt seine Richtigkeit.

Jedes Dieselfahrzeug ist von der Zulassungsbehörde uneingeschränkt zugelassen. Fahrverbote der Städte greifen in diese Zulassung ein. Eine solche Einschränkung könnte allenfalls von der Zulassungsbehörde ausgehen. Die Städte sind dafür nicht zuständig.

Zu dieser für alle Dieselfahrer und Kfz-Händler katastrophalen Entwicklung ist kritisch folgendes anzumerken:

1) Jedes Dieselfahrzeug ist von der Zulassungsbehörde uneingeschränkt zugelassen. Fahrverbote der Städte greifen vor allem bei „zonalen Verboten“, aber auch sonst in diese Zulassung ein und beschränken die Betriebserlaubnis nur, weil die Fahrzeuge mit Dieselöl betrieben werden. Eine solche Einschränkung könnte allenfalls – wenn überhaupt – von der Zulassungsbehörde ausgehen. Die Städte sind dafür nicht zuständig: ein Problem, das vom Bundesverwaltungsgericht gar nicht behandelt wird. Mangels Zuständigkeit wären die Fahrverbote sämtlich nichtig.

2) Nach Paragraph 19 Abs. 2 der Straßenverkehrszulassungsordung (StVZO) erlischt die Betriebserlaubnis unter anderem nur, „wenn Änderungen vorgenommen werden, durch die … 3. das Abgas- oder Geräuschverhalten verschlechtert wird“. Das Abgasproblem ist also sogar ausdrücklich geregelt. Eine Verschlechterung des Abgasverhaltens hat aber seit Zulassung der vielen umlaufenden Dieselfahrzeuge nicht stattgefunden. Die NO2-Belastung der Städte ist umgekehrt sogar stark zurückgegangen. Die Einschränkung der Betriebserlaubnis durch Fahrverbote war also bisher und ist auch jetzt noch nach deutschem Recht unzulässig. Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem Urteil diese Bestimmung nicht einmal erwähnt, geschweige denn berücksichtigt.

3) Ein Skandal liegt auch in folgendem Zusammenhang:

Die Masse der gegenwärtig gültigen Dieselzulassungen wurde von den Zulassungsbehörden in voller Kenntnis der gleichen Problematik erteilt, wegen der heute Fahrverbote verhängt werden. Auch wurde regelmäßig in den TÜV-Verfahren kein Einwand bezüglich der NO2-Emissionen erhoben. Seit 2010 gilt die 40-Mikrogramm-Regel der EU.

Außerdem ist diese Regel sogar durch § 3 Abs. 1 der VO zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 2. August 2010 ins deutsche Recht überführt worden. Das Bundesverwaltungsgericht hätte also allen Anlaß gehabt, zu prüfen, ob die gleichen Zustände, die den Behörden bei Erteilung der Zulassung schon bekannt waren, später zu einer Einschränkung oder Aufhebung eben dieser Zulassung berechtigen können. Das wäre doch ein jedes Vertrauen in den Staat erschütternder Verstoß gegen Treu und Glauben. Die Dieselfahrer müssen sich vom Staat hereingelegt fühlen.

4) Die Erteilung der Zulassung des Autos ist ein sogenannter „begünstigender Verwaltungsakt“. Ein solcher kann nach § 49 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nur ganz ausnahmsweise, etwa um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten, durch einen neuen Verwaltungsakt widerrufen werden. Bei Widerruf hat die Behörde den Betroffenen auf Antrag für den Vermögensnachteil zu entschädigen, „den dieser dadurch erleidet, daß er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen schutzwürdig ist“. Wenn also die Fahrverbote nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz trotz der anderweitigen Regelung in § 19 Abs. 2 StVZO überhaupt zulässig sein sollten, müßte der Schaden unabhängig von seiner Höhe ersetzt werden. Geschützt ist hier nicht – wie in Art. 14 GG – das Eigentum, sondern der Vertrauensschutz in den Staat. Dieser Vertrauensschutz ist ein Grundelement des demokratischen Rechtsstaats, dessen massenhafte Verletzung durch Dieselfahrverbote für viele Millionen Menschen weitreichende Folgen haben kann.

Das Bundesverwaltungsgericht hat diese gesetzliche Regel des Verwaltungsverfahrensgesetzes weder erwähnt noch gar berücksichtigt. Es hat zwar dem EU-Recht zur Durchsetzung der 40-Mikrogramm-Belastungsgrenze den Vorrang vor deutschem Recht eingeräumt, hätte aber diese Gesichtspunkte in seine Abwägungen einbeziehen müssen. Das EU-Recht verlangt nicht konkret Fahrverbote, sondern nur „geeignete Maßnahmen, damit der Zeitraum der Nichteinhaltung so kurz wie möglich gehalten werden kann“. In den Begriff der „Möglichkeit“ hätte es auch den Vertrauensschutz der Bürger in den Staat einbeziehen müssen, der für den Bestand des Staates hier genauso wichtig ist wie bestimmte Luftverhältnisse. Vor allem aber verbietet das EU-Recht nicht die Einhaltung von Entschädigungsregeln des deutschen Rechts.

Das Bundesverwaltungsgericht verlangt von Käufern von Dieselfahrzeugen, daß sie sich zur Vermeidung schwerer Rechtsnachteile über komplizierte Rechtsvorschriften unterrichten, die aber den Autofirmen und vor allem den Zulassungsstellen bekannt waren.

5) Das Bundesverwaltungsgericht hat nach alledem wichtige Rechtsfragen nicht behandelt. Außerdem hat es aber auch einige fast zynische Bemerkungen zu Lasten der Dieselfahrer getätigt.

a) Der Senat hat berücksichtigt, „daß für diejenigen Käufer, die unmittelbar vor dem Inkrafttreten der Abgasnorm Euro 6 (das war am 1. September 2015) ein neues Dieselfahrzeug erworben haben, das nur der Abgasnorm Euro 5 entsprach, ohne weiteres erkennbar war, daß dieses Fahrzeug in Kürze nicht mehr dem Stand der neuesten Abgasvorschriften entsprechen werde“. Diesen Käufern sei daher „kein weitergehender Vertrauensschutz zuzubilligen“. Dies soll im Ergebnis für alle Käufer gelten, die nach dem 1. September 2014 – also ein Jahr früher – ein Dieselfahrzeug der Abgasnorm Euro 5 erworben haben.

Das Bundesverwaltungsgericht verlangt also von den Millionen Käufern von Dieselfahrzeugen, daß sie sich zur Vermeidung schwerer Rechtsnachteile über komplizierte und für sie ganz fernliegende nationale und internationale Rechtsvorschriften unterrichten, die aber den Autofirmen und vor allem den Zulassungsstellen bekannt waren. Darauf, daß die Autofirmen als Verkäufer und die Zulassungsstellen diese Käufer entsprechend hätten warnen müssen, verfällt das Bundesverwaltungsgericht nicht!

b) Um das Fahrverbot-Thema für alle Euro-5-Fahrzeuge „dicht“ zu machen, schreibt das Gericht, Eigentümern, die zwischen dem 1. Januar 2009 und dem 31. August 2014 Dieselfahrzeuge mit der Abgasnorm Euro 5 erworben haben, sei „mit Blick auf das höhere Alter und die höhere Fahrleistung und den daraus resultierenden geringeren Restwert der Fahrzeuge eine Einschränkung der Nutzbarkeit durch Verkehrsverbote grundsätzlich zuzumuten“. Daß Fahrverbote auch für viele dieser Eigentümer schwerste Beeinträchtigungen nach sich ziehen, weil sie sich kein neues Auto leisten können und/oder ein Auto für die tägliche Fahrt an den Arbeitsplatz dringend benötigen, scheint irrelevant zu sein.

c) Fragwürdig ist auch eine „Prophezeiung“ des Bundesverwaltungsgerichts, lokale Verkehrsverbote würden nicht zu einem Zusammenbruch des Gebrauchtwagenmarktes für betroffene Kraftfahrzeuge oder zu unverhältnismäßigen Belastungen durch besonders hohe Marktwertverluste führen. Genau das ist aber inzwischen eingetreten, weil durch die „lokalen Verkehrsverbote“ Dieselfahrzeuge insgesamt so in Verruf geraten sind, daß sie vielfach weder neu noch gebraucht gekauft werden. Die Schädigung des Gebrauchtwagenmarktes hat das Bundesverwaltungsgericht im übrigen gar nicht untersucht beziehungsweise behandelt. Dieselfahrzeugen mit der Abgasnorm Euro 4 spricht das Gericht erst recht keinen Schutz zu, obwohl auch solche Fahrzeuge oft noch in gutem Zustand sind.

6) Zusammenfassend ist festzustellen, daß nach der gegenwärtigen Rechtsprechung über 15 Millionen Dieselfahrer gegen Fahrverbote so gut wie rechtlos sind: ein neuer Sieg der Grünen im Kampf gegen das Auto an sich. Das Bundesverwaltungsgericht hat einige in weiteren Klageverfahren vorzutragende Rechtsfehler gemacht. Deren Korrektur durch die Rechtsprechung ist notwendig, wegen der bisherigen Festlegung der Verwaltungsgerichtsbarkeit aber wenig wahrscheinlich. In der Praxis hat der Staat auf der Rechtsebene seinen buchstäblichen Krieg gegen die Dieselfahrer vorerst gewonnen.






Dr. Wolfgang Philipp, Jahrgang 1933, war unter anderem Syndikus der Dresdner Bank und arbeitete seit 1976 als Rechtsanwalt in Mannheim. Er ist Mitglied der Juristenvereinigung Lebensrecht. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über die Privilegierung politisch verfolgter Ausländer gegenüber Deutschen durch das Asyl-Grundrecht („Wie Merkel das Volk täuscht“,            JF 52/15).

Foto: Dieselabgase oder dicke Luft in Deutschland: Nach der gegenwärtigen Rechtsprechung sind über 15 Millionen Dieselfahrer gegen Fahrverbote so gut wie rechtlos