© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/19 / 01. März 2019

Charmant arrogant
Musik: Die einstige DDR-Untergrundband „Freunde der italienischen Oper“ hat eine neue Platte veröffentlicht
Sebastian Hennig

In den letzten Jahren der DDR sprießte eine vielfältige Szene subversiver Kunst- und Lebensformen. Die Kluft zwischen dem künstlerischen Anspruch und den verfügbaren technischen Mitteln spornte die Virtuosität und Improvisation. Die Dresdner „Freunde der italienischen Oper“ sind mehr als jede andere Rockgruppe von dieser Stimmung des Übergangs hervorgebracht worden und haben diese maßgeblich mitgeprägt. Beinahe ebenso stark in der bildenden und darstellenden Kunst verankert wie in der Musik, haben sie sich 1988 gegründet, im Folgejahr gleich zwei Mitglieder durch die Ausreise verloren. 

Der Intendant des Dresdner Schauspiels, Wolfgang Engel, war früh auf die Gruppe aufmerksam geworden, als diese noch keine offizielle Spielerlaubnis hatte. Er hat sie 1989 in seine Inszenierung von Goethes „Faust“ einbezogen. Im Frühjahr 1991 haben sie dann im Dresdner Großen Haus einmalig ihre eigene Revue zur Aufführung gebracht. Als sie 1992 ihr letztes Konzert gaben, war es eine Auflösung im Wortsinne. Sie sind mit einer unruhigen und anregenden Zeit zugleich verschwunden, beinahe unmerklich, aber rasch. Dabei knüpften sich große Erwartungen an die Fortführung. Sie galten als die originellste Formation der mitteldeutschen Independent-Szene. 

Doch den artistischen Eigensinn zur verkäuflichen Marke umzuprägen war ihre Sache nicht. Sie lehnten es ab, als Einheizer für die Spaß-Punker der „Toten Hosen“ bei deren Dresdner Konzert 1990 zu rangieren. Waren sie doch deren Gegenteil in Erscheinung und Attitüde, wenn sie in ihren roten Hemden und schwarzen Krawatten und nahezu ohne Interaktion mit dem Publikum mit erratischer Inbrunst ihre schmerzliche Musik zelebrierten. Im Vorfeld der nervösen und theatralischen Bühnenpräsenz hatte es seit 1985 bereits die Künstlergruppe FeSa (Feige Sau) gegeben, die bizarre Filme produzierte und zu kleinen Festivals in eine private Wohnung am Dresdner Bahnhof Mitte lud. Ein Auftragsfilm zur Amtseinführung des damaligen Direktors des Deutschen Hygienemuseums Martin Roth führte zu einem kleinen Eklat. Professionelle Routine ist auch später nie eingetreten. Seit der Jahrtausendwende gab es mehrere Versuche der Wiederbelebung, die sich allesamt großer Resonanz erfreuten. 

Nun ist wieder eine Platte erschienen, begleitet von Auftritten in Berlin, Hamburg, Leipzig, Jena und Bremen. Das Aufleben der Legende beginnt sich zu verstetigen. Außer dem Sänger Ray von Zeschau sind alle Mitglieder neu und doch alte Bekannte aus dem Milieu. 

Im Frühling sind weitere Konzerte geplant

Auf das Saalpublikum rast eine Welle von Gitarren- und Baßklängen zu, worin zuweilen der Gesang und sogar das Schlagzeug untergehen. Das wüste Lärmen gehört ebenso zur Nostalgie wie die affektierten Gesten des Sängers. Die eingespielten Filme werden von den Scheinwerfern zur Unkenntlichkeit überblendet. Bei den bekanntesten Liedern erwidert eine Springflut aus rempelnden und hüpfenden Leibern die geliebte Attacke des kalkulierten Schmerzes von der Bühnenrampe. 

Denn „Via Dolorosa“ heißt die jüngst erschienene neue Platte. Der Tonumfang und die Inbrunst des Gesangs von Ray von Zeschau bleibt frappierend im Zusammenklang mit den bretternden Gitarren und dem trockenen Baß. Das klingt neu und doch den vormaligen „Freunden der italienischen Oper“ sehr ähnlich. Das Publikum schwelgt nicht allein in nostalgischer Erinnerung. Es wird in den Strudel einer gegenwärtig sich behauptenden Kraft hineingezogen. Von der gewohnten zärtlichen Arroganz, die den Bühnenfiguren eignet, findet das Auditorium sich mit nur einer Zugabe abgespeist und darauf im Nachhall der ruhenden Instrumente zurückgelassen. Der Gitarrist kommt noch einmal auf die Bühne, nicht um zu spielen, sondern um den Stecker zu ziehen.

Aufgrund der unbefriedigten Nachfrage soll in diesem Jahr ein weiteres Konzert am Heimatort stattfinden. Am 6. April sind sie zunächst in Bremen zu erleben.