© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/19 / 08. März 2019

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Mit doppeltem Durchschlag
Paul Rosen

An jedem Werktag marschiert ein Bote mit einem Stapel Papier unter dem Arm zum Haus der Bundespressekonferenz. Der Pförtner grüßt nett, man kennt sich. Der Bote verteilt die Pressemitteilung des Deutschen Bundestages in die Postfächer der Journalisten. Andere Boten bringen den Pressedienst in die Häuser der Abgeordneten, wo Etagensekretäre dafür sorgen, daß jede Ausgabe in jedes Büro kommt. 

Die Szene spielte in Bonn in den achtziger Jahren vor der Einführung von Telefax und Internet. Vom Parlamentssitz Bonn ist zwar nichts geblieben, aber die geschilderte Szene läßt sich immer noch mehrmals am Tag im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin am Schiffbauerdamm beobachten. Der technische Fortschritt der letzten Jahrzehnte scheint an Teilen der Bundestagsverwaltung spurlos vorbeigegangen zu sein. Intern ist das Faxgerät immer noch Rückgrat der Kommunikation. 

Dem Internet-Auftritt des Parlaments ist anzusehen, daß im Laufe der letzten Jahre immer neue Funktionen angehängt wurden. Eine totale Unübersichtlichkeit ist die Folge. Und von neuen Kommunikationskanälen wie Twitter, Facebook oder Instagram wollte der Bundestag, der über Debatten mit mehrtägiger Verzögerung in der Zeitung Das Parlament berichtet, bisher nichts wissen. Das lag nicht zuletzt an den Präsidenten Norbert Lammert (CDU) und Wolfgang Schäuble (CDU), denen die für digitale Kommunikation zuständigen Abteilungen direkt unterstellt waren. Lammert ließ keinen Zweifel daran, daß er der analogen Welt Vorzug vor der digitalen gab. Schäuble sorgte sogar dafür, daß die Internet-Fachleute aus seinem Präsidialbereich in die normale Verwaltungshierarchie umgesetzt wurden. Das klare Signal war, daß der Präsident, der keinen persönlichen Account in der digitalen Welt hat, mit so etwas auch dienstlich nicht belästigt werden wollte. Würde der Bundestag in die Online-Kanäle gehen, müßte „mit erheblichem Personalaufwand eine eigene Redaktion aufgebaut werden“, so Schäubles ablehnende Antwort an FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann, der das gefordert hatte.  

Daß es jetzt doch anders kommt, liegt an Schäubles Stellvertreter Wolfgang Kubicki. Der FDP-Politiker ist ebenso wie die anderen Bundestagsvizepräsidenten über persönliche Accounts bei Facebook & Co. erreichbar. Kubicki setzte die Digitalisierung im Bundestagspräsidium durch. Bis Ostern soll die Verwaltung ein Konzept vorlegen, wie sie sich den Auftritt in den sozialen Medien vorstellt. Im Mai soll nach Anhörung aller Fraktionen, die längst solche Kanäle in eigener Regie nutzen, im Ältestenrat des Bundestages ein Beschluß erfolgen. Gedacht ist an die Einsetzung einer „neutralen“ Redaktion, die die Kanäle bespielt. 

Wann der Bundestag auf Facebook, Twitter oder Instagram erreicht werden kann, ist ungewiß. Wer die Verwaltung kennt, ahnt, daß das mindestens bis zur Bundestagswahl dauern kann, wobei unklar ist, ob bis zur nächsten oder bis zur übernächsten. Beim WLAN ist es genauso. Zwar wurde dessen Einrichtung schon vor mehreren Jahren beschlossen, in Betrieb ist es bis heute nicht.