© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/19 / 08. März 2019

Der kommende Klima-Putsch
Energiepolitik: Nach dem Strom und Autofahren soll nun auch noch das Heizen und Fliegen teurer werden
Marc Schmidt

Die wenigsten kennen Svenja Schulze. Zwar ist der Bekanntheitsgrad nicht unbedingt ein Gradmesser für den Erfolg der politischen Arbeit, aber er zeigt zumindest, inwieweit die jeweilige politische Arbeit es in die öffentliche Wahrnehmung schafft. Und die Themen, die die frühere Landesvorsitzende der NRW-Jusos voranbringen soll, sind zweifellos wichtig, die SPD-Politikerin wurde nach der Bundestagswahl Umweltministerin.

„Innovationen für die Energiewende“

Das bisherige Fehlen an Profil könnte sich allerdings bald ändern, denn Ministerin Schulze hat einen Klimaschutzgesetzentwurf vorgelegt, der dem „Green New Deal“ der linken US-Demokraten in nichts nachsteht und der nicht weniger fordert als eine Revolution: den vollständigen Umbau des Industriestandorts Deutschland und des Lebens aller Bürger (JF 10/19). Kern des Ganzen ist eine völlige Umstellung der CO2-Besteuerung auf den jeweiligen Verbrauch.

Da mit der offenen Unterstützung anderer Ministerien für die wirtschafts- und verbraucherfeindlichen Pläne nicht zu rechnen war, wurde der gleiche Trick wie beim Kohleausstieg (JF 6/19) angewendet: Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) lieferte auf 194 Seiten Bestandsaufnahmen, Ausblicke und Verbesserungsvorschläge zu Themen wie Forschungsförderung, Digitalisierung und Start-Up-Unternehmen in Bereichen wie Blockchaintechnologie und künstlicher Intelligenz. Allerdings ist Ministerin Schulze hierbei nur teilweise zuständig, weshalb sie die energiepolitische Führungsschwäche im CDU-Wirtschaftsministerium nutzte und sich das Kapitel „Innovationen für die Energiewende“ schreiben ließ.

Dieses dürfte Angela Merkel sicher gefallen, denn es ist faktisch eine Konkretisierung ihres 2016 beschlossenen „Klimaschutzplans 2050“ für eine „treibhausgasneutrale Wirtschaft und Gesellschaft“ – und es stimmt inhaltlich mit dem Referentenentwurf des Umweltministeriums zum Klimaschutzgesetz überein. An den Zielen ihrer Radikalmaßnahmen lassen weder die Umweltministerin noch die beauftragten Wissenschaftler Zweifel: Jeder Energieverbrauch in Deutschland soll künftig das kosten, was er tatsächlich an (fiktiven) Klimakosten hervorruft.

Sprich: Die Preise für Energie sollen so extrem steigen, daß bisher unwirtschaftliche Technologien von Elektromobilität bis hin zum Heizen mit Strom aus der eigenen Solaranlage sich auf einmal ökonomisch rechnen. Betroffen von solchen teuren Planungen sind Wirtschaft und Bürger gleichermaßen, denn die inflationsbefördernden Preis­erhöhungen können nicht voll auf die Produktpreise umgelegt werden, die im Wettbewerb mit anderen zollfrei verfügbaren Produkten aus der EU stehen. Entsprechend harsch fielen die ersten Reaktionen energieintensiver Branchen wie der Stahl- oder Papierindustrie aus, die von einem Konjunkturprogramm für osteuropäische Nachbarländer sprachen. Angesichts bevorstehender Mehrfachbesteuerung eine durchaus angebrachte Formulierung, wie sich am Beispiel von Benzin, Diesel und Heizöl zeigen läßt.

Künftig gleich viermal abkassieren?

Die Kraftstoff und Flugbenzin herstellenden deutschen Raffinerien sind schon jetzt durch den CO2-Zertifikatehandel der EU (JF 51/12) belastet. Ihre Produktion wird durch den Zwang zum Kauf von Luftverschmutzungsrechten, meist aus anderen europäischen Ländern, die großzügiger zuteilen, nun noch mehr verteuert. Für die Produktion in der Raffinerie wird Strom aus der Grundlast verwendet, für dessen Produktion in klassischen Kraftwerken heute das gleiche gilt. Neu sind die Planungen, viermal beim gleichen Produkt abzukassieren, da jedesmal durch die Weiterverarbeitung CO2 freigesetzt wird: bei der Produktion der Stroms, bei der Verwendung des Stroms in der Raffinerie, bei der Logistik der Brennstofflieferung an die Tankstellen und bei der Verbrennung des Treibstoffes oder Heizöls durch den Konsumenten.

Die genauen Kosten für die Verbraucher lassen sich aus dem SPD-Gesetzentwurf nicht entnehmen. Konkreter werden die EFI-Gutachter: Würden ihre Vorschläge von einem Preis von 180 Euro pro Tonne CO2 umgesetzt, würden die aktuellen Literpreise für Benzin um 51 Cent, für Diesel um 57 und für Heizöl um 64 Cent brutto steigen. Noch teurer wird es beim Fliegen: Ein Liter Kerosin kostet derzeit etwa 34 Cent pro Liter – plus CO2-Abgabe ergäbe sich ein Aufschlag von 125 Prozent. Dies sind wohlgemerkt nur die direkten Mehrkosten, die obengenannten Mehrkosten der Produktion für die Hersteller werden ebenfalls in den Produktpreis einfließen. Nimmt man diese vorsichtig geschätzt hinzu, werden alle Spritpreise deutlich über zwei Euro liegen und sich der Preis für Heizöl auf mindestens 1,40 Euro verdoppeln. Das erklärt zudem den Ursprung der Gelbwestenbewegung in Frankreich. Auch Emmanuel Macron hatte seine drastischen Steuererhöhungen mit dem Klimaschutz begründet.

Daher versprechen Ministerin Schulze, das EFI-Gutachten und selbst stramm „neoliberale“ Ökonomen Entlastungen für „kleinere“ Einkommen. Doch bei Hartz-IV-Beziehern und Asylzuwanderern werden die Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) ohnehin übernommen. Für Spitzenverdiener sind höhere Heiz- und Spritkosten „Peanuts“. Aber selbst bei einer nur teilweisen Umsetzung der CO2-Abgabenpläne wäre eine viel weitergehende Ausgleichregelung alternativlos – wenn die Politik eine weitere Entvölkerung des ländlichen Raums und eine zusätzliche Steigerung der Wohnungsnot in den Ballungsräumen durch ehemalige Pendler vermeiden will.

Mehrfach betroffen wären auch die Bezieher kleiner bis mittlerer Arbeitseinkommen, die wirtschaftlich wie technisch nicht die Möglichkeiten zur radikalen Verbrauchsreduzierung haben und zudem besonders stark unter der zu erwartenden Inflation leiden. Laut EFI soll die angedachte Kompensation daher eines der größten Umverteilungsprogramme der Geschichte werden. Im Ergebnis sollen bis zu 70 Prozent der Konsumenten mit allen staatlichen Mehreinnahmen aus der neuen CO2-Besteuerung entlastet werden. Offen bleibt allerdings, wie eine solche Entlastung konkret aussehen könnte – abseits der Vorstellung, daß 15 Millionen Haushalte und Firmen Bezuschussungs- oder Erstattungsanträge bei noch einzustellenden Beamten stellen müssen.

Jahresgutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI):  e-fi.de/