© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/19 / 08. März 2019

Die Machthaber gefährden die freiheitliche Demokratie
Wirtschaftsliteratur: Der frühere Roland-Berger-Manager Markus Krall liefert in seinem neuen Buch politisch inkorrekte Analysen der Risiken, die auf uns zukommen
Erich Weede

Markus Krall hat Banken beraten und vor dem „Draghi-Crash“(JF 18/18) gewarnt. Jetzt untersucht er die Risiken, die auf Europa zukommen. Er ist von Mises und Hayek beeinflußt. Die Frankfurter Schule, das Erbe der 1968er, Keynesianismus und Globalsteuerung lehnt er ab. Für Krall besteht das Leben – das schließt Erkennen und Forschen, Arbeiten und Produzieren, Managen und Führen ein – aus einer Abfolge von Versuch und Irrtum. Das impliziert auch Verluste, die wir ungern hinnehmen wollen, vor denen uns die Politik in grenzenloser Selbstüberschätzung schützen zu können glaubt. Statt die Wirtschaft dem Markt und der schöpferischen Zerstörung anzuvertrauen, setzt die Politik auf Planung und Bürokratie. Damit erreicht sie nur, kleine Verluste so lange zu vertuschen, bis eine größere Krise katastrophale Verluste bringt.

Im ersten Kapitel geht es um den Kollaps des Euro, im zweiten und vierten Kapitel um die Gefährdungen der Unternehmen, im dritten um das Ende der Parteiendemokratie, im fünften um Geopolitik. Krall kann bei den Wirtschaftskapiteln mehr Kompetenz beanspruchen als bei den beiden politischen. Aber Hayek und sein intellektueller Rivale Keynes waren sich darin einig, daß ängstliches Beachten von Fachgrenzen unfruchtbar ist. Krall erwartet, daß der Euro nicht mehr lange überlebt.

„Minderbegabte Karrieristen und Rentenjäger“

Zunächst hatte der Euro den Südländern ermöglicht, mehr Schulden zu machen. Sie büßten ihre Wettbewerbsfähigkeit ein, weil der Euro für sie zu hart ist. Mit für die Geber weitgehend verlorenen Hilfskrediten, Target-Salden und Geldpolitik wurde das lange vertuscht. Aber die Nullzinspolitik der EZB mindert zuerst die Profitabilität der Banken, dann deren Eigenkapital, dann deren Fähigkeit Kredite zu vergeben. Weil die Nullzinspolitik schwache Firmen überleben läßt, werden aufgeschobene Pleiten in einer Krise nachgeholt. Krall befürchtet erst Deflation, danach Hyperinflation.

Die Unternehmen werden durch Quantencomputer, künstliche Intelligenz und die Möglichkeit, trotz Verschlüsselung in alle IT-Systeme einzudringen und fremde Rechner, Versorgungsunternehmen und Industrieanlagen seinem Willen zu unterwerfen, verunsichert. Die andere Herausforderung besteht darin, daß bei Großunternehmen meist Eigentum und Haftung für die Folgen der Entscheidung von der Entscheidungsgewalt getrennt sind. Das begünstigt schlechte Entscheidungen, politische Interventionen („Regulierung“) – und damit zuviel Komplexität.

Die herrschenden Eliten der kontinentaleuropäischen Demokratien hält Krall für „minderbegabte Karrieristen und Rentenjäger“. Seines Erachtens wird Europa schlechter als Putins Rußland regiert, weil wir unseren Problemen nicht ins Auge sehen. Einen Grund für die Misere sieht Krall in der gleich hohen Bezahlung aller Parlamentarier – unabhängig davon, was sie in der Wirtschaft verdienen könnten oder verdient haben. Das setze einen Anreiz für die, sich politisch zu engagieren, die anderswo weniger als im Parlament verdienen können. Die von den 68ern legitimierte Neigung zu Interventionismus, Regulierung und Bürokratisierung gefährdet Freiheit und Wohlstand. Die Schwächung der Familie und der demographischen Basis unserer Gesellschaften führt Krall teils auf kulturelle Entwicklungen, teils auf den Sozialstaat zurück, weil der Absicherungsfunktionen an sich gerissen hat, die früher von Familien angeboten wurden.

Die Massenzuwanderung aus dem islamischen Kulturkreis wird schon im dritten Kapitel beklagt und als Belastung statt als Ausgleich für unsere demographische Lücke verstanden, aber brisant wird das erst durch geopolitische Herausforderungen. Krall befürchtet, daß „unsere“ Migranten die fünfte Kolonne der Muslim-Bruderschaft und neo-osmanischer Expansionsbestrebungen werden könnten. In Deutschland könnten bald nach 2050 mehr junge Muslime als junge Alteuropäer leben. Die Zukunft Europas hängt dann von Rußland, Amerika und Großbritannien ab. Wenn man die Zukunft der EU so wie Krall sieht, ist der Brexit das rechtzeitige Verlassen eines sinkenden Schiffes.

Das Buch ist gut geschrieben. Die Plausibilität der Argumente variiert stark. Kralls Überlegungen zum Euro und zur Leistungsschwäche interventionistischer Staatsführungen sind überzeugend. Technologische Fortschritte und deren Implikationen sind unvorhersehbar. Der geopolitische Blick ist eng auf das Verhältnis von Europa und Islam fokussiert. Durch die Migrationspolitik haben wir das zwar fahrlässig zu unserem europäischen Hauptproblem gemacht, aber dieses Problem wird sich in einer Welt entfalten, die primär von der amerikanisch-chinesischen Rivalität geprägt sein wird, zu der Krall nichts sagt.

Entscheidend bei diesem Buch ist nicht, ob alle Probleme abschließend analysiert werden, sondern ob der Leser zum Nachdenken über existentielle Probleme animiert und damit resistent gegen die Denkverbote der Politischen Korrektheit wird. Dafür tut Krall viel.






Prof. Dr. Erich Weede lehrte Soziologie an den Universitäten Köln und Bonn.

Markus Krall: Wenn schwarze Schwäne Junge kriegen. Warum wir unsere Gesellschaft neu organisieren müssen. Finanzbuch Verlag, München 2019, 336 Seiten, gebunden, 17,99 Euro