© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/19 / 08. März 2019

Räum erst mal dein Zimmer auf
Porträt: Der kanadische Psychologe und Kulturkritiker Jordan B. Peterson ist zu einem Medienstar geworden
Elliot Neaman

Bis vor einigen Jahren hatten außer seinen Studenten und Patienten nur sehr wenige von dem kanadischen Psychologieprofessor und -therapeuten Jordan B. Peterson gehört. Inzwischen hat er eine Youtube-Fangemeinde von über 40 Millionen, einen Bestseller, der sich kürzlich über eine Million Mal verkauft hat, und er tourt durch die ganze Welt, um in überfüllten Konzertsälen bezahlte Vorträge zu halten (allein im Januar und Februar trat er in diversen Städten in Nordamerika sowie in der Schweiz, Australien und Neuseeland auf). Im Zuge einer Besprechung von Petersons Werk erhöhte der bekannte New York Times-Kolumnist David Brooks ihn zu einer kulturellen Ikone und behauptete, wir alle lebten im „Jordan-Peterson-Moment“. „Die Sicherheitsvorkehrungen bei seinen Auftritten sind streng, weil Linksradikale und die Antifa es auf ihn abgesehen und ihn als gefährlichen, von der Alt-Right vorgeschobenen Strohmann ins Visier genommen haben.

Um viele seiner angriffslustig vorgebrachten Standpunkte, insbesondere in bezug auf die Geschlechterverhältnisse, werden hitzige Debatten geführt – Standpunkte, deretwegen viele ihn einen altmodischen Patriarchen nennen. Trotzdem ist Peterson ein berühmter Medienstar, ein Selbsthilfe-Guru und Visionär, der weltweit eine riesige, quasireligiöse Anhängerschaft um sich geschart hat. Wer ist dieser Mann, warum begeistert das, was er zu sagen hat, ebenso viele Menschen, wie es ihm Feinde verschafft, und warum bringt ihm das so viel Aufmerksamkeit seitens der Medien ein (und zudem viel Geld)?

Peterson wurde 1962 in einer Kleinstadt in der Nähe von Edmonton, Alberta, geboren. Seine Mutter war Bibliothekarin, sein Vater Lehrer. In seiner Jugend begann er sich politisch zu engagieren und arbeitete für die New Democratic Party (NDP), eine kanadische Version der britischen Labour Party mit populistischen Wurzeln in der Politik der westkanadischen Prärieprovinzen. Unter dem Eindruck seiner Lektüre von George Orwells Kritik der politischen Linken wandte er sich jedoch mit 18 Jahren von der NDP ab.

Er absolvierte an der University of Alberta ein Studium der Politikwissenschaft und verbrachte dann ein Jahr in Europa, wo er sich für die Ursprünge des Kalten Krieges und die Geschichte des Totalitarismus zu interessieren begann. Seine Lieblingsautoren zu jener Zeit waren eine eklektische Mischung aus Freigeistern: Friedrich Nietzsche, Alexander Solschenizyn, C. G. Jung und Fjodor Dostojewski. Nach seiner Rückkehr nach Alberta wechselte er die Fachrichtung und promovierte schließlich an der McGill University in Klinischer Psychologie. Von 1993 bis 1998 forschte und lehrte er in Harvard, anschließend trat er an der University of Toronto eine Stelle als ordentlicher Professor für Psychologie an.

Junge Männer sollen ihre Männlichkeit annehmen

Sein Hauptinteresse gilt der Psychopharmakologie und der Psychologie des Abnormen, wobei er sich insbesondere den Persönlichkeitseigenschaften und der Frage widmet, in welchem Maße Faktoren wie politische Ideologie, soziale und geschlechtliche Orientierung oder Religion zur Herausbildung individueller Glaubenssysteme beitragen. Er hat über hundert wissenschaftliche Artikel verfaßt oder mitverfaßt und 1999 „Maps of Meaning. The Architecture of Belief“ veröffentlicht, eine umfängliche, mit Fachjargon und Diagrammen gesättigte psychologische Studie darüber, wie Menschen Narrative entwickeln, die ihrem Leben Sinn verleihen.

Dazu zog er ein breites Spektrum an Forschungen aus Religionsgeschichte, Philosophie und Mythologie sowie der modernen Hirnforschung heran. Im Mittelpunkt des Buchs stand die Frage, wie Menschen sich an Glaubenssysteme binden können, die irgendwann in mörderische Gewalt umschlagen und in der Vergangenheit unter anderem zu den Gulags, den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten, Völkermordregimen wie dem von Pol Pot in Kambodscha oder zum Genozid in Ruanda geführt haben. Peterson stützt sich auf Jungs Archetypenlehre und die Neurowissenschaften, um bewußte und unbewußte Schichten von Glaubenssystemen freizulegen.

Sein jüngstes Buch, „12 Rules for Life. Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt“ (Goldmann 2018), ist für den Durchschnittsleser weitaus zugänglicher. Das Buch gliedert sich in zwölf Kapitel, die jeweils ausführlich eine Regel für ein besseres Leben erläutern. Peterson bezieht sich dabei auf das Paretoprinzip, das besagt, daß schon geringfügige Verhaltensänderungen erhebliche Wirkungen zeitigen können. Er rät jungen Menschen, ihr Leben zu ändern, einfach indem sie mal ihr Zimmer aufräumen. Das klingt ziemlich banal, doch dieser Rat war anscheinend überaus wirkungsvoll und bewog seine Leser tatsächlich, ihr Leben zu ordnen. Ordne ein Regal in deinem Zimmer, empfiehlt Peterson, dann führt das Gefühl der Befriedigung, etwas erreicht zu haben, zu weiteren geordneten Regalen und schließlich auch zu positiven Veränderungen in größe-rem Rahmen.

Andere Kapitel des Buchs widmen sich dem Problem der Erziehung junger Männer. Peterson glaubt, daß die moderne Gesellschaft elementare biologische Geschlechterunterschiede zwischen Jungen und Mädchen ignoriert. Er ermahnt junge Männer, standhaft zu bleiben und ihre Männlichkeit und generell männliche Stärke für sich anzunehmen (was laut eigener Aussage jedoch nicht bedeute, andere zu dominieren). Er führt viele Mißstände der modernen Gesellschaft auf die Vernachlässigung fundamentaler Tatsachen den Menschen betreffend zurück, die er in den alten Religionen und Mythologien verkörpert sieht. Moralischer Nihilismus und Relativismus – eine Welt ohne objektive Werte – sind für Peterson die Ursache unserer der-zeitigen Misere.

Seine ersten Anhänger im Internet fand Peterson ab 2013, als er begann, seine Vorträge aufzuzeichnen und auf Youtube zu veröffentlichen. Schon 2017 beschäftigte er dann ein eigenes Produktionsteam, das seine Vorlesungen an der University of Toronto mitschnitt. Er nutzt Crowdfunding zur Finanzierung seines Youtube-Kanals und verdient angeblich allein mit diesen Spenden über 80.000 Dollar im Monat. Außerdem betreibt er einen Podcast, in dem er heterodoxe akademische Denker interviewt, die sich gegen politische Korrektheit in Wissenschaft und Wirtschaft ausgesprochen haben.

Er ist ein Kritiker politischer Korrektheit

In einer Podcast-Reihe befaßte Peterson sich mit dem Google-Entwickler James Damore, der im vergangenen Jahr entlassen wurde, nachdem er ein internes Memo verfaßt hatte, in dem er die Unternehmenskultur bei Google als „ideologische Echokammer“ bezeichnete, die umgekehrte Diskriminierung und Einschüchterung nutze, um mittels Social Engineering statt Gleichberechtigung die Gleichstellung männlicher und weiblicher Mitarbeiter zu erreichen.

Darüber hinaus begann Peterson im letzten Jahr eine Podcast-Reihe über die Bedeutung biblischer Narrative, die seiner Meinung nach archetypische Leitbilder für Verhaltensmuster enthalten, denen zu neuer Geltung verholfen werden müsse, um dem destruktiven moralischen Nihilismus unserer zeitgenössischen Kultur entgegenzuwirken. Er hat auch ein Online-Projekt ins Leben gerufen, das Menschen hilft, zwecks persönlicher Weiterentwicklung ihre eigene Autobiographie zu schreiben.

Peterson ist ein scharfer Kritiker von Postmoderne, politischer Korrektheit, Neomarxismus sowie bestimmten Aspekten von Feminismus und Ökologismus. Er schimpft auf „Social Justice Warriors“ an den Universitäten, die von Begriffen wie „weiße Privilegien“ und „kulturelle Aneignung“ besessen sind und konservative Studenten, Professoren und Gastredner niederbrüllen oder ausgrenzen. Peterson hat sogar schon Universitätsverwaltungen aufgefordert, Mittel für viele geisteswissenschaftliche Studiengänge wie Gender, Ethnic oder Postcolonial Studies zu kürzen, die er als Brutstätten pseudowissenschaftlicher, postmarxistischer Politpropaganda sieht. Peterson analysiert politische Korrektheit (PC) aus Sicht eines Klinischen Psychologen. Seiner Ansicht nach gibt es zwei dominante Formen – „PC-Egalitarismus“ und „PC-Autoritarismus“ –, wobei letzterer nur aggressiver und dogmatischer auftrete als ersterer, beide aber aus einem künstlich erzeugten Gefühl von sexueller, rassischer oder sonstiger Gruppenidentität hervorgingen, das in sozialen und politischen Auseinandersetzungen in reale Macht umgemünzt werden könne, was auch regelmäßig geschehe.

Ungeachtet seiner handfesten politischen Positionen ist Petersons Werk größtenteils im Duktus dröger akademischer Literatur aus dem Bereich der Klinischen Psychologie geschrieben oder, wie im Falle seiner etwas populäreren Bücher, in Form von banaler Phrasendrescherei, wie man sie von der Ratgeberliteratur her kennt. In beinahe viktorianischer Manier (oder als Ausdruck dessen, was er selbst „Cowboy-Philosophie“ nennt) fordert er junge Menschen auf, sich ein kräftiges Rückgrat zuzulegen, gegen Suchtverhalten anzugehen, Verantwortung zu übernehmen, den Kopf hoch zu tragen und aufzuhören, über ihre persönlichen Probleme zu jammern. Peterson trägt stets konservative Anzüge und sagte einmal zu einem Reporter der New York Times, der ihn besuchte: „Ich bin ein sehr ernsthafter Mensch.“ Zudem bewahrt er sich einen Hauch Exzentrik: Die Wände seines Hauses in Toronto sind mit sowjetischen Propagandaplakaten tapeziert, die ihn stets an die verheerenden Folgen der marxistischen Ideologie im 20. Jahrhundert erinnern. 

In der Öffentlichkeit versteht Peterson es sehr gut, seine Standpunkte zu vertreten. Er ist redegewandt, sein Auftreten grenzt an Steifheit und Arroganz. Während einer Lesereise durch England wurde er unlängst von der britischen Journalistin Cathy Newman für den Fernsehsender Channel 4 interviewt. Das halbstündige Interview ging auf Youtube viral und wurde dort mehr als sieben Millionen Mal angeschaut.  Newman drängt Peterson darin empört, zu seinen umstrittensten Positionen Stellung zu beziehen, wobei sie seine Aussagen wiederholt aus dem Zusammenhang reißt oder sie so verdreht, daß sie absurd klingen. Doch Peterson verteidigt sich geschickt. An einer Stelle fragt

Newman ihn, warum er es für akzeptabel halte, Transgender-Menschen zu kränken (dies, nachdem er gerade gesagt hatte, er habe gar nichts gegen Transgender-Menschen). Er blickt ihr direkt in die Augen, merkt an, ihr sei es das gesamte Interview über darum gegangen, ihn zu kränken, und fragt schließlich: „Warum ist es für Sie in Ordnung, mich zu kränken?“ Der sonst so redseligen Journalistin verschlug es die Sprache. Peterson lächelte und fügte hinzu: „Erwischt!“ In diesem Punkt mußte sie ihm recht geben. Im konservativen Lager der sozialen Medien avancierte dieser Teil des Interviews zu einem Hit.

Peterson ist aktuell sicher einer der intelligentesten Verteidiger gewisser konservativer Werte, doch diese bilden zusammengenommen ein eklektisches und oft idiosynkratisch wirkendes Sammelsurium. Auf die Frage, ob er Christ sei, antwortete er, die kurze Antwort laute ja, wenngleich ein moderner Christ seine Überzeugungen wahrscheinlich nicht als in irgendeinem traditionellen Sinne christlich wiedererkennen werde. Sein Kampf gegen den moralischen Relativismus wird in gewissem Maße auch durch sein Mißtrauen gegenüber absoluten Wahrheiten erschwert. „Wahrheit“ ist laut Peterson eine adaptive evolutionäre Strategie des Menschen und unterliegt somit einem ständigen Wandel.

Seine Anhänger verehren ihn mit messianischem Eifer

Er ist zwar ein durchaus überzeugender Gegner von politischer Korrektheit und Identitätspolitik, doch sonderlich originell sind seine Argumente nicht. Er verläßt sich auf seine Autorität als Wissenschaftler, wagt sich dann aber auch in Zonen vor, von denen er weit weniger versteht. Beispielsweise scheint er nicht zu wissen, daß die Theorien von Carl Gustav Jung weitgehend von der Wissenschaftsgemeinde diskreditiert worden sind oder daß Jung ein Antisemit und NS-Kollaborateur war. Es fragt sich daher, ob seine zunehmende Popularität auf die Langlebigkeit eines funkelnden Sterns oder auf die Kurzlebigkeit eines Kometen hinauslaufen wird. Seine Anziehungskraft weist jedenfalls alle Merkmale einer vorübergehenden Modeerscheinung auf. Seine Anhänger verehren ihn mit nahezu messianischem Eifer, und er genießt und profitiert offensichtlich materiell von der Aufmerksamkeit, die ihm entgegengebracht wird – doch all das könnte sich auch schnell in Luft auflösen.

Angesichts des Personenkults um Peterson, seiner mystischen Tendenzen, seines strengen Appells an die Selbstdisziplin und seiner Aufforderung, die dominanten Normen der Gesellschaft abzulehnen, haben manche Beobachter ihn sogar schon mit L. Ron Hubbard verglichen, dem Gründer von Scientology. Dieser Vergleich geht wohl etwas zu weit. Doch läßt man sich von Lehren aus der Geschichte leiten, so kann man doch zumindest konstatieren, daß Peterson zu jener altbekannten Sorte säkularer Propheten zu gehören scheint, die auf tiefsitzende Ängste in unserer Kultur reagieren, statt eine kohärente Philosophie, geschweige denn ein überzeugendes politisches Programm anzubieten.

Peterson hat eine erfolgreiche Mischung aus Jungs Archetypen, biblischer Symbolik und einem selbstgebastelten Eigenständigkeits-Evangelium entwickelt, die vor allem junge Menschen (und insbesondere junge Männer) anspricht, die sich Auskunft über ihre Gefühle kultureller Entfremdung und ein Beruhigungsmittel für ihre Unsicherheiten erhoffen. Letztlich verkauft auch Peterson nur eine gegenkulturelle Version von New-Age-Spiritualität, unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Seriosität, gewürzt mit einer Prise politischer Unkorrektheit. Einer noch zu schreibenden Kulturgeschichte unserer Zeit wird das Ganze wahrscheinlich kaum mehr wert sein als eine Fußnote.

Weitere Informationen:

 https://jordanbpeterson.com

 www.youtube.com/user/JordanPeterson

    Videos

Jordan B. Peterson: 12 Rules for Life. Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt. Goldmann, München 2018, gebunden, 576 Seiten, 20 Euro