© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/19 / 08. März 2019

Bildung ist (k)eine Staatsaufgabe
Für Elternrecht und Freiheit
Stefan Blankertz

Der Anteil der Eltern, die ihre Kinder auf Privatschulen schicken, steigt. Eine Privatschule in Berlin hat die Aufnahme eines Kindes verweigert, dessen Vater AfD-Abgeordneter ist. Zwei eng miteinander verbundene Meldungen, die Ende des letzten, Anfang dieses Jahres für bildungspolitische Schlagzeilen sorgten.

Die Ablehnung des Kindes eines AfD-Politikers durch eine Waldorfschule verdeutlich ein Kennzeichen der Privaten: Sie können ihre Schüler auswählen. Oder besser: Sie müßten, wenn sie denn echte Privatschulen wären, sich ihre Schüler auswählen dürfen. Die Kriterien sollten niemand anderen etwas angehen als die Betreiber der Schule und ihre möglichen Kunden. Eine Privatschule für Tierhaarallergiker wird ein Kind ablehnen, das in einem Haushalt lebt, der Katzen beherbergt. Zu Recht. Wem das Kriterium der Auswahl nicht paßt, der suche sich eine andere Schule für seine Kinder.

Aber gerade die tragenden Säulen des in Deutschland derzeit herrschenden „linken“ Systems, das scharfer „rechter“ Kritik durch die AfD ausgesetzt ist, sehen das anders. Für die Linken sind Privatschulen sowieso eher ein am Rande geduldetes Ärgernis, das sie kleinhalten wollen. Darum gibt es die Aufregung über einen bescheidenen Anstieg der Schülerzahlen auf Privatschulen – im Schuljahr 2017/18 besuchten 757.200 Schüler eine private allgemeinbildende Schule, das ist ein Anstieg von 0,9 Prozent gegenüber dem vorherigen Schuljahr. Und darum wollen Linke die Privatschulen strikter staatlicher Kontrolle unterworfen wissen.

Die heilige Kuh der staatlichen Bildungspolitik besonders in Deutschland lautet seit hundert Jahren, daß soziale, religiöse, ethnische, geschlechtliche, weltanschauliche, ja sogar begabungsgemäße Trennungen nach Möglichkeit zu vermeiden seien. Die Bandbreite der Diskussion verläuft zwischen „Chancengerechtigkeit“ und „Chancengleichheit“; ein anderer Standpunkt wird als außerhalb des demokratischen und überhaupt zivilisatorisch-humanen Bereichs liegend bezeichnet. Verbleibende Reste von Privatschulen mit eindeutigen Auswahlkriterien wie die Schulen in der Trägerschaft christlicher Kirchen und die Waldorf- beziehungsweise Rudolf-Steiner-Schulen sind vielen Bildungspolitikern und Erziehungswissenschaftlern ein Dorn im Auge.

Wegen der Ablehnung der „diskriminierenden“ Aufnahme von Schülern durch die staatstragende Linke gab es sowohl von journalistischer als auch von offiziös-politischer Seite eher kritische Töne bezogen auf die Entscheidung der Waldorfschule. Die Linken spüren, daß sie, wenn sie hier die Diskriminierung als mannhaften „Kampf gegen Rechts“ rühmen, einen Präzedenzfall schaffen für das Recht einer Schule, sich ihre Schüler auszusuchen. Alarmiert durch die leichte Steigerung der Schülerzahlen an Privatschulen folgt der linke Mainstream jedoch genau der umgekehrten Agenda: Es soll den Privatschulen verboten werden, Kinder auszusuchen und gegebenenfalls abzulehnen. Der Treibriemen für diese Entwicklung sind nicht nur verschärfte (Diskriminierungs-)Verbote, sondern darüber hinaus erhöhte Zuwendungen an Steuermitteln. Zuckerbrot und Peitsche.

Auch die „rechte“ Alternative beeilte sich nicht, für Bildungsfreiheit einzutreten. In dem Fall des im Dezember 2018 von der Waldorfschule ausgeschlossenen Kindes stärkte sie die Position der herrschenden Linken, Diskriminierung solle verboten sein.

Aber auch die „rechte“ Alternative beeilt sich nicht, für Bildungsfreiheit einzutreten. In dem Fall des von der Waldorfschule ausgeschlossenen Kindes stärkt sie die Position der herrschenden Linken, Diskriminierung solle verboten sein. Die Position gegen Bildungsfreiheit hat allerdings bürgerliche Tradition. Als die CDU noch konservativ war, pries sie das sogenannte dreigliedrige Schulsystem aus Haupt- und Realschule sowie Gymnasium als Optimum der Bildungsfreiheit und Wahrung des Elternrechts auf freie Schulwahl an. Ende der 1980 er Jahre wollte ich meinen Sohn in Bonn auf einer Gesamtschule anmelden, weil ich diese Schulform für ihn unter den gegebenen Möglichkeiten als die beste erachtete. Aber das gelang nicht. Die Schule hatte eine lange Warteliste. Durch die CDU-Schulpolitik, die die Gesamtschule im Namen des Rechts auf elterliche Wahlfreiheit bekämpfte, wurde dieser erfolgreichen Schule es versagt, der Nachfrage entsprechend zu expandieren. Echte Bildungsfreiheit und echtes Elternrecht würde aber heißen: Der Staat möge die Finger ganz von der Bildung lassen.

Für die staatliche Hoheit auf dem Sektor der Bildung werden drei Argumente ins Feld geführt, je nach tagespolitischer Opportunität von linker und rechter Seite in unterschiedlichen Mischungs- und Gewichtungsverhältnissen.

l Das erste Argument, das auch in der aktuellen Diskussion um die angestiegene Nutzung von Privatschulen häufig geltend gemacht wird, lautet, Privatschulen könnten sich nur „die Reichen“ leisten, die das Schulgeld aufbringen können. Allerdings tut dieses Argument so, als würden die öffentlichen Schulen nichts kosten. Dem ist jedoch nicht so. Sie werden nur anders finanziert, nämlich über die Steuereinnahmen des Staates. Um Bildungsfreiheit herzustellen, bräuchte man nicht einmal auf die Frage von Regressivität oder Progressivität der Steuern und nach der Ursache von sozialen Schieflagen einzugehen. Denn es wäre ein leichtes, allen Eltern genau die Summe, die der Staat sowieso für die Bildung ihrer Kinder vorhält, zur Verfügung zu stellen. Mit diesem Gutschein könnten sie die Bildungsangebote aussuchen, die sie für ihre Kinder am geeignetsten halten.

Gegenwärtig wird jedoch der umgekehrte Weg gewählt: Die Privatschulen sollen noch mehr staatliche Zuwendungen erhalten, damit sie im Gegenzug gezwungen werden können, Kinder ohne „Diskriminierung“ aufzunehmen. Damit verlieren die Privatschulen ihre Unabhängigkeit vollends und werden veranlaßt, sich den staatlichen Schulen noch weitgehender anzugleichen.

l Das zweite Argument für die Beibehaltung der staatlichen Bildungshoheit besteht in der Sorge, daß private Schulen nicht die demokratischen Werte von Freiheit und Toleranz vermitteln. Da viele Privatschulen ganz besonderen Wert auf Mitgestaltung durch Schüler und Eltern legen, klingt dieses Argument vorgeschoben. Es richtet sich auch speziell gegen unternehmerisch geführte Privatschulen sowie Privatschulen von religiösen oder weltanschaulichen Minderheiten. Aber wie man durch die strukturelle Verweigerung von Freiheit und Toleranz für Minderheiten, Andersdenkende oder Unternehmer zu Freiheit und Toleranz erziehen kann, bleibt mir schleierhaft.

Bei der Frage, wie die Schule qualifizieren solle, dreht sich das Rechts-Links-Karussell: In dieser Frage treten die „Rechten“ meist eher für die gleichmachende Allgemeinbildung ein, die „Linken“ meist eher für neigungsgerechte Spezialisierungen.

l Das dritte Argument, das die Notwendigkeit der öffentlichen Schule rechtfertigen soll, arbeitet mit dem Verweis, „die“ Wirtschaft sei darauf angewiesen, in bestimmter Weise qualifizierte Arbeitskräfte mit vergleichbaren Schulabschlüssen vorzufinden. Daß Schulabschlüsse in der Tat nicht vergleichbar sind, ist seit langem bekannt und veranlaßt Klagen. Als Gegenmittel werden standardisierte Verfahren wie das Zentralabitur angepriesen, die jegliche Möglichkeit, pädagogisch auf individuelle Besonderheiten einzugehen und Kinder individuell zu fördern, von vornherein ausschließt.

Das Zentralabitur macht den Abschluß zwar formal vergleichbar, doch was sagt er aus? Wer gute Noten hat, kann, muß aber kein guter Arzt werden; dies nur als Beispiel stellvertretend für viele weitere Berufsgruppen, die dem Berechtigungswesen unterliegen. Beim Berechtigungswesen, das den Zugang zu Studienfächern und sodann zu Berufen an einen bestimmten Schulabschluß bindet, geht es um Selektion. Mit dem Berechtigungswesen zwingt die Bildungspolitik die Eltern, eine Schulform zu wählen, die die gewünschte Berechtigung verleiht.

Darüber hinaus kennzeichnet das Berechtigungswesen ein geradezu ironisches Paradox: Je einheitlicher die Bildung ist, um so stärker wirkt sie sozial selektiv. Dies liegt daran, daß die einheitliche Bildung für ganz bestimmte Typen von Kindern optimal ist, für andere nicht. Diejenigen Kinder, deren Eltern das einheitliche Bildungswesen schon erfolgreich absolviert haben, sind ihrerseits prädestiniert, wiederum in diesem System Erfolg zu haben. Das heißt, die Bildungspolitik der staatstragenden Linken stärkt die soziale Ungleichheit.

Bei der Frage, wie die Schule qualifizieren solle, dreht sich das Rechts-Links-Karussell: In dieser Frage treten die „Rechten“ meist eher für die gleichmachende Allgemeinbildung ein, die „Linken“ meist eher für die Möglichkeit von neigungsgerechten Spezialisierungen. Vertreter „der“ Wirtschaft beklagen oft und gern fehlende Allgemeinbildung, genauso oft allerdings auch das Fehlen von spezialisierten Fachqualifikationen. Der Gipfel an Unverstand ist erreicht, wenn entweder der mangelnden Allgemeinbildung oder der mangelnden Fachqualifikation die hohe Arbeitslosenquote zugeschrieben wird. Es gibt wohl kein Unternehmen, das, wenn es einen Bewerber sucht, statt dessen zwei Bewerber einstellt, nur weil sie beide gleich gut die Orthographie beherrschen oder beide gleich gute Fachqualifikationen vorweisen.

Eine wahre Alternative für Deutschland wäre es, Bildungsfreiheit als Thema zu entdecken. Bildungsfreiheit würde die Lebensqualität von Schülern, Lehrern und Eltern erhöhen. Sie würde die soziale Ungleichheit nicht verschärfen, sondern abmildern. Und sie würde zu einer Qualifikation führen, die tatsächlich auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt wird.






Dr. Stefan Blankertz, Jahrgang 1956, ist Soziologe und habilitierte in Erziehungswissenschaften. Er veröffentlicht regelmäßig in der Zeitschrift Eigentümlich frei, zu deren Redaktionsbeirat er gehört. Blankertz lebt als freier Schriftsteller und Lyriker („Wortmetz“) in Berlin.

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Foto: Schüler der Waldorfschule Uhlands-höhe in Stuttgart: Privatschulen können sich ihre Schüler aussuchen. Sie erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Das alarmiert den linken Mainstream.