© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/19 / 08. März 2019

Knapp daneben
Ökologische Scheinalternative
Karl Heinzen

Vor dem Amtsgericht Starnberg muß sich derzeit der 20jährige Manuel Erhardt dafür verantworten, seit dem Frühjahr 2017 Bahnen und Busse des Münchner Verkehrs- und Tarifverbundes MVV insgesamt 23mal ohne Fahrschein genutzt zu haben. Da die Staatsanwaltschaft nur jene Fälle anführen kann, in denen er von Kontrolleuren aufgegriffen wurde, mag die Dunkelziffer weitaus höher sein.

Als ein Motiv könnten auf den ersten Blick die prekären Einkommensverhältnisse des Angeklagten angenommen werden. Er verdient sein Geld als Saisonarbeiter in der Gastronomie. Große Sprünge dürfte er sich damit im teuren Bayern nicht leisten können. Manuel Erhardt besteht jedoch darauf, daß es nicht der pure Eigennutz ist, der ihn zu dem veranlaßt, was die Gesellschaft mit dem irgendwie auch rassistischen Unwort „Schwarzfahren“ stigmatisiert. Er hat vielmehr Grundsätze. Unter anderem wendet er sich gegen die Diskriminierung sozial schwacher Menschen durch hohe Fahrpreise. Darüber hinaus treibt ihn das Bedürfnis um, den Klimawandel zu stoppen. 

Viele nutzen die öffentlichen Verkehrsmittel lediglich, weil sie zu arm oder zu jung für ein eigenes Auto sind.

Das klänge alles sehr löblich, würde er mit seinem Protest nicht dem Irrglauben Vorschub leisten, daß öffentliche Verkehrsmittel eine ökologische Alternative seien. Als eine solche könnten sie jedoch nur dann angesehen werden, wenn die Fahrgäste auf ein privates Auto umstiegen, sofern sie die Möglichkeit des Massentransports nicht hätten. Tatsächlich sind sie aber zu arm, zu jung oder zu hinfällig, um ein Kraftfahrzeug ihr eigen nennen zu können. Wer ein solches besitzt, käme hingegen nie auf die Idee, sich in ihre schlechte Gesellschaft zu begeben, bloß weil sich damit Kosten sparen ließen. Die ganze Logik einer rationalen Klimapolitik, durch immer höhere Energiepreise den Anreiz für immer geringeren Energieverbrauch zu setzen, ist ad absurdum geführt, wenn gleichzeitig öffentliche Verkehrsmittel kostengünstig oder gar gratis herumfahren. Schon der bloße Anblick der Leute, die dieses Angebot nutzen, sollte deutlich machen: Es müssen wirklich nicht alle Menschen mobil sein. Bei manchen wäre es einfach besser, sie blieben zu Hause.