© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/19 / 15. März 2019

Fremd im eigenen Leben
Bundeswehr: Was hat der Afghanistan-Einsatz mit den Soldaten gemacht? Eine Studie im Auftrag des Verteidigungsministeriums versucht Antworten zu geben
Peter Möller

Was macht der Krieg mit den Soldaten? Spätestens seitdem die Bundeswehr während des Afghanistan-Einsatzes in Gefechte verwickelt wurde, bei denen Soldaten fielen oder verwundet wurden, kann auch die dem Militär gegenüber skeptisch eingestellte deutsche Gesellschaft nicht mehr achtlos an dieser Frage vorbeigehen.

Das Potsdamer Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr ist im Auftrag des Verteidigungsministeriums in dem nun veröffentlichten Forschungsbericht „Leben nach Afghanistan – Die Soldaten und Veteranen der Generation Einsatz der Bundeswehr“ der Frage auf den Grund gegangen. Für die Studie haben die Forscher die Angehörigen des 22. Bundeswehrkontingents für Afghanistan mehr als vier Jahre begleitet – sowohl 2010 während des Einsatzes am Hindukusch als auch nach der Rückkehr in die Heimat. Die Wissenschaftler stützen sich für ihre Arbeit auf schriftliche Befragungen und auf „teilnehmende Beobachtungen“ im Einsatzland sowie Interviews und Gruppendiskussionen. Zudem wurden drei Jahre nach der Rückkehr die noch aktiven Soldaten sowie die nach dem Einsatz aus der Bundeswehr ausgeschiedenen Veteranen befragt. Die Forscher konnten 2013 für die Auswertung auf 843 ausgefüllte Fragebögen von Soldaten und 260 von Veteranen zurückgreifen. Damit lag die Rücklaufquote der Befragung für das gesamte Kontingent bei 21 Prozent.

Die zufällige Auswahl des Kontingents erwies sich im nachhinein für die Forscher der Bundeswehr als „Glücksfall“ – allerdings nur aus wissenschaftlicher Sicht. Denn wie bei keinem Kontingent zuvor standen die Soldaten im Feuer. Ihre Zeit in Afghanistan „war geprägt durch Gefechte, Hinterhalte und Anschläge“. Der Einsatzzeitraum war der gewaltintensivste für die Bundeswehr in Afghanistan. Am Ende zählte das 22. Kontingent sieben Tote und 28 teils schwer Verwundete.

Diese Erlebnisse dürften sich auch in den Ergebnissen der Befragungen niedergeschlagen haben – und diese sind aus Sicht der verantwortlichen Politiker äußerst gemischt ausgefallen. So teilt zwar gut die Hälfte (52 Prozent) der befragten Soldaten die Einschätzung, daß der Einsatz einen sinnvollen Beitrag zur Hilfe für die Menschen in Afghanistan geleistet habe. Gleichzeitig stimmen aber 27 Prozent der Befragten der Aussage zu, daß der Einsatz in Afghanistan letztendlich nutzlos gewesen sei, da er zu keiner grundlegenden Verbesserung beigetragen habe. Weitere 26 Prozent stimmten dieser Aussage teilweise zu.

Soldaten beklagen fehlende öffentliche Anerkennung

Anders als die pessimistische Einschätzung der politischen Wirkung ihres Einsatzes in Afghanistan fällt die persönliche Bilanz der Soldaten oftmals positiver aus. „Die meisten kommen drei Jahre nach der Rückkehr mit den Belastungen des Einsatzes überwiegend gut zurecht“, resümiert die Studie. Dennoch ließen sich für viele die Erfahrungen nicht so einfach abhaken, sondern sie prägten und sie veränderten die Betroffenen. Betroffen sind alle Lebensbereiche und nicht nur die eigene Person, sondern auch die Beziehung zum Partner oder den Kindern sowie „berufsbezogene Fähigkeiten und Kompetenzen ebenso wie Wertvorstellungen.“ 

Dabei handelt es sich allerdings nicht ausschließlich um negative Erfahrungen. „Besonders die erfahrungsbezogenen Entwicklungen der eigenen Person werden von den meisten des Kontingents positiv erlebt“, heißt es in der Studie. Viele hätten den Eindruck, an ihren Erfahrungen persönlich gewachsen zu sein. Andere dagegen fühlten sich auch noch drei Jahre später fremd im eigenen Leben und berichteten von anhaltenden seelischen oder körperlichen Verwundungen.

Dennoch überwiege bei vielen Befragten das Positive: „Sich in Erfüllung des Dienstes im Einsatz selbst gefährlichsten Situationen gestellt und diese gut überstanden, gemeinschaftliche Verbundenheit mit Kameraden erlebt und die oft schwierige Heimkehr gemeinsam mit der Familie gemeistert zu haben, das sind Erfahrungen, die bei den meisten (Einsatz-)Soldaten und Veteranen haften bleiben“, zieht die Studie Bilanz. Nicht wenige würden sogar gegen den Willen der Familie nochmals in einen Einsatz gehen. Im übrigen sind die meisten Partnerschaften der Soldaten trotz der hohen familiären Belastungen stabil geblieben. Der Untersuchung zufolge leben Soldaten und Veteranen sogar häufiger als der Durchschnitt in einer Partnerschaft. Auch der Anteil Geschiedener ist geringer als im deutschen Durchschnitt.

Ein großes Thema für die Befragten ist die öffentliche Anerkennung ihres Einsatzes am Hindukusch in der Heimat. Für eine Parlamentsarmee sei es „ein besorgniserregender Befund, daß sechs von zehn Befragten unter den Angehörigen des Kontingents den Eindruck haben, durch deutsche Politik und Bevölkerung als (Einsatz-)Soldat bzw. Veteran nicht ausreichend anerkannt und wertgeschätzt zu werden“, schreiben die Autoren. Daran ändere auch die Tatsache nichts, daß dieser Eindruck einer mangelnden gesellschaftlichen Anerkennung der Bundeswehr von der Bevölkerung weitgehend geteilt werde. Der fehlende Rückhalt belaste die Soldaten. Das seit Jahren andauernde Gezerre der Politik um den Begriff des Veteranen macht indes wenig Hoffnung auf eine schnelle Besserung.