© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/19 / 15. März 2019

Rücktritt auf Raten
„Aufstehen“-Bewegung und Linken-Fraktion: Sahra Wagenknecht hört auf
Paul Leonhard

Sahra Wagenknecht, Galionsfigur eines Teils der Linken, hat am Montag einen Schlußstrich gezogen, der die Mehrheit ihrer Genossen überrascht und selbst ihren Gegnern in der Parteiführung für einen Moment die Sprache verschlagen hat: Nachdem die Spitzengenossin bereits einen Tag zuvor verkündet hatte, nicht länger die von ihr gegründete Sammlungsbewegung „Aufstehen“ führen zu wollen, tat sie nun ihren Verzicht auf eine erneute Kandidatur als Fraktionschefin der Linken im Bundestag kund. In einer E-Mail an die Mitglieder der Bundestagsfraktion begründete sie diesen Schritt mit einer „langen Krankheit, deren Auslöser in erster Linie Streß und Überlastung waren“. Diese sei zwar jetzt überwunden, hätte ihr aber „Grenzen aufgezeigt, die ich in Zukunft nicht mehr überschreiten möchte“.

Mit „Aufstehen“ wollte Wagenknecht die Basis des ihr zugewandten Teils der Partei vergrößern, Wählern der AfD eine Alternative aufzeigen sowie gleichzeitig einen Schulterschluß mit sympathisierenden Sozialisten aus den Reihen der SPD und der Grünen hinbekommen (JF 35/18). Jetzt macht Wagenknecht auf Merkel. Offiziell will sie die Bewegung mit aktuell angeblich 170.000 Sympathisanten – in Wahrheit ist dies die Anzahl der „Aufstehen“-Newsletter-Abonnenten – „selbstverständlich mit aller Kraft unterstützen“ und ihr Amt als Fraktionschefin bis zur turnusmäßigen Neuwahl im Herbst ausüben. Politiker im selbsterklärten Rückzugsmodus spielen aber in keiner Partei mehr eine Rolle. In der Linkspartei wird  derzeit hektisch analysiert, wie das sich anbahnende innerparteiliche Machtvakuum gefüllt werden kann. Die Frage, wer Wagenknecht beerbt, dürfte die debattenfreudige Fraktion noch sehr beschäftigen.

Verhängnisvoll wird sich Wagenknechts Rückzug auf „Aufstehen“ auswirken. Diese Gruppierung unterscheidet sich von den „Gelbwesten“ in Frankreich grundlegend, da sie nicht Ausfluß von Protesten, sondern eine typisch deutsche Kopfgeburt ist; organisiert von braven Parteifunktionären in den Städten. Gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung behauptete Wagenknecht, es sei Zeit, daß sich „Parteipolitiker zurücknehmen“ und „Verantwortung abzugeben“; eine vorgeschobene Behauptung. Denn noch steht ihre Basisbewegung nicht auf eigenen Beinen, noch sind aus ihr keine charismatischen Persönlichkeiten erwachsen. Wagenknecht ist zu klug, um das nicht selbst zu wissen. Sie gleicht dem Feldherren, der vor Beginn der schon verloren geglaubten Schlacht die ihm treu ergebenen Truppen verläßt.