© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/19 / 15. März 2019

Wahlurlaub für den Kommissar
Slowakei: Eine Bürgeraktivistin will Präsidentin werden – und ihre Chancen stehen gut
Paul Leonhard

EU-Kommissar Maroš Šefcovic hat bei seinem Chef Jean-Claude Juncker bis zum 31. März unbezahlten Urlaub beantragt und auch genehmigt bekommen. Denn der 52jährige, der zu den dienstältesten Kommissaren in Brüssel zählt und für Energiepolitik zuständig ist, will sich am 16. März zum Präsidenten der Slowakei wählen lassen. Allerdings schwindet, je näher das Datum rückt, die Zustimmung für den parteilosen Eurokraten. Schuld daran ist eine Frau: die auf Umweltfragen spezialisierte Rechtsanwältin und Bürgeraktivistin Zuzana Caputová.

Lange schwankten die Umfragezahlen der 45jährigen zwischen 6,5 und 18,5 Prozent. Mitte Februar lag sie bei 17,5 und damit 0,8 Prozentpunkte hinter dem 52jährigen Robert Mistrík von der von Richard Sulík 2009 gegründeten wirtschaftsliberalen Partei „Freiheit und Solidarität“ (SaS), der größten Oppositionspartei. Dann jedoch teilte der Chemiker am 26. Februar überraschend mit, seine eigene Kandidatur zugunsten von Caputová zurückzuziehen.

Das Land „gerechter, fairer und anständiger“ machen

Gleichzeitig bat er seine potentiellen Wähler, ihre Stimme der Juristin zu geben: Er wolle so helfen, die demokratischen Kräfte zu bündeln, sagte Mistrík. „Es ist bemerkenswert, wenn jemand die Interessen der Gesellschaft über seine eigene stellt“, lobte die in Preßburg geborene Caputová.

Zuvor hatten alle Wahlforscher sowohl ihm als auch Caputová prognostiziert, in einer Stichwahl am 30. März Šefcovic zu schlagen und diesen somit zurück auf seinen Posten als Stellvertretender EU-Kommissionspräsident nach Brüssel zu schicken. Spannend dürfte jetzt werden, ob Caputová, die beispielsweise gleichgeschlechtlichen Paaren das Adoptionsrecht gewähren möchte, selbst gerade geschieden ist und mit ihren beiden halbwüchsigen Töchtern in einer neuen Partnerschaft lebt, tatsächlich die potentiellen Mistrík-Wähler, speziell aus den konservativen Kreisen, für sich gewinnen kann. 

Sowohl Andrej Danko, Vorsitzender der Slowakischen Nationalpartei und Parlamentspräsident, als auch der amtierende proeuropäische Präsident, Andrej Kiska, hatten auf eine Kandidatur verzichtet. Kiska, dem bei einem Antritt große Chancen für eine weitere fünfjährige Amtszeit prognostiziert worden waren und der von der SaS unterstützt worden wäre, hatte bereits Mitte Mai 2018 bekanntgegeben, nicht zu kandidieren, um die „Ära der politischen Konfrontation“ in der Slowakei zu beenden. 

Damit spielte Kiska offenbar auf die Massenproteste an, die es nach einem Auftragsmord an dem Enthüllungsjournalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten im Februar 2018 in der Nähe der Hauptstadt Preßburg gegeben hatte und die letztlich zu einer Regierungsumbildung führten. Peter Pellegrini löste im März Smer-Gründer Robert Fico als Ministerpräsidenten ab. Bei den Wahlen zu den Städte- und Gemeinderäten im November konnte die sozialdemokratische Regierungspartei Smer-SD in den Bezirksstädten des Landes keinen einzigen Bürgermeister mehr stellen und verzeichnete auch sonst große Verluste. 

Insofern ist die Präsidentschaftswahl Gradmesser dafür, ob sich die sozialdemokratische Regierung, der Verbindungen zur organisierten Kriminalität vorgeworfen worden waren, in den Augen des Slowaken rehabilitiert hat. Schon im kommenden Jahr stehen Parlamentswahlen an. Caputová verspricht, als Präsidentin die Slowakei „gerechter, fairer und anständiger“ zu machen. Präsident Kiska hat sich bereits öffentlich hinter die Kandidatin gestellt: „Sie wäre die perfekte Nachfolgerin.“