© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/19 / 15. März 2019

Die schützenden Hände der Sowjets
Karl-Eduard von Schnitzler: Der bekannteste DDR-Agitator führte ein widersprüchliches Leben
Detlef Kühn

Ein zu DDR-Zeiten oft erzählter Witz lautete: Der Chef-Kommentator des DDR-Fernsehens und Moderator des „Schwarzen Kanals“ heiße Karl-Eduard von Schni; denn bei -tzler hätten die Zuschauer immer schon ab- oder auf einen anderen Sender umgeschaltet.

Wie bei allen politischen Witzen war auch an diesem etwas dran. Schnitzler (1918–2001) war wegen seiner haßerfüllten Agitation gegen den Westen, die in dieser Form oft auch bei überzeugten SED-Genossen auf Vorbehalte stieß, herzlich unbeliebt. Dennoch wurde „Der schwarze Kanal“ mit seinen oft verfälschten Wiedergaben aus dem West-Fernsehen etwa im Raum Dresden, wo man aus frequenztechnischen Gründen kein West-Fernsehen empfangen konnte, oft eingeschaltet, eben weil es die einzige Möglichkeit war, überhaupt Westsendungen zu sehen. Die Kommentare von „Sudel-Ede“ mußte man  dabei ertragen. Schnitzler störte das alles nicht. Sein Selbstbewußtsein und seine feste Überzeugung, weltanschaulich auf der „richtigen“ Seite der Geschichte zu stehen, waren bis zu seinem Ende ungebrochen. Er war und blieb eine schillernde Gestalt, deren charakterliche Schwächen und Eskapaden im Osten wie im Westen durchaus beachtet wurden. Vieles lag im dunkeln. 

Gunter Holzweißig, einem ausgewiesenen Kenner der Geschichte der DDR und der Teilung Deutschlands, ist es gelungen, neue Quellen zu erschließen  und damit manche Ungereimtheiten in Schnitzlers bewegtem Leben plausibel zu erklären.

Karl-Eduard von Schnitzler gehört zu einer briefadligen Familie mit großbürgerlichem Hintergrund. Angeblich zählen auch die Hohenzollern zu seinen näheren Vorfahren – allerdings aus einer illegitimen Verbindung. Sein älterer Bruder Hans, der als Leutnant in sowjetische Gefangenschaft geriet und später in der DDR unauffällig lebte, führte ihn an sozialistisches Gedankengut heran. Karl-Eduard geriet im Sommer 1944 in der  Normandie in britische Gefangenschaft und wurde hier bald für die Mitarbeit bei der BBC  angeworben, Einsatz beim Rundfunk für Kriegsgefangene in Ascot. Hier bewährte er sich so, daß er schon im Oktober 1945 nach Deutschland entlassen wurde. Er sollte beim Aufbau des Rundfunks in der britischen Zone mitwirken. Nach kurzer Tätigkeit in Hamburg wurde er nach Köln versetzt und baute den Nordwestdeutschen  Rundfunk (NWDR) mit auf. 

Schon im Lager Ascot war den britischen Kontrolloffizieren aufgefallen, daß der „Volontär“ von Schnitzler offenbar kommunistische Neigungen hatte und sich in den von ihm gestalteten Sendungen auch freundlich über die Sowjetunion äußerte. Anfangs störte das nicht besonders. Aber 1947 in Köln hatte sich das politische Klima bereits geändert. Den britischen Kontrolleur Hugh Green störte es, daß der Kölner Sender wegen Schnitzlers Programmgestaltung – er förderte zum Beispiel KPD-Funktionäre – bald als „Rotfunk“ galt. Er holte ihn nach Hamburg und sorgte dafür, daß er nur noch selten ans Mikrofon kam. Schließlich wurde Schnitzler zum Ende des Jahres 1947 gekündigt, wozu wohl auch persönliche Verfehlungen beitrugen. 

Er stand unter Verdacht, ein westlicher Agent zu sein

Schon im März 1948, also noch während der Blockade West-Berlins, begann Schnitzlers Tätigkeit als Kommentator beim Berliner Rundfunk, der unter Kontrolle der Sowjets stand, aber noch aus dem Haus des Rundfunks in der Masurenallee im britischen Sektor sendete. Es folgte eine rasante Karriere, in der er der wohl bekannteste Journalist der DDR wurde.

Dieser Erfolg war nicht selbstverständlich. Wie andere Kollegen, die in England als Emigranten oder Kriegsgefangene ausgebildet worden waren, stand auch Schnitzler, der seit Juni 1948 der SED angehörte, unter Verdacht, ein westlicher Agent zu sein, an der „englischen Krankheit“ zu leiden. Fast alle wurden im Zuge von Säuberungen 1949/50 aus dem Rundfunk der DDR ausgemerzt, einige sogar strafrechtlich verfolgt und verurteilt. Nur Schnitzler hatte offenbar besondere Schutzengel und überlebte alle Anfeindungen, denen er auch in späteren Jahren aus unterschiedlichen Gründen immer wieder ausgesetzt war.

Gunter Holzweißig untersucht akribisch die persönlichen Beziehungen, die Karl-Eduard von Schnitzler vor allem nach 1945 im beruflichen wie auch im privaten Bereich unterhielt. Dafür standen erstmals auch Akten des Bundesnachrichtendienstes und des Verfassungsschutzes zur Verfügung. Besonders aussagekräftig sind naturgemäß die Akten des Staatssicherheitsdienstes der DDR, wo man Schnitzlers Wirken durchaus kritisch betrachtete – nicht zuletzt was seinen, wie es hieß, „Umgang mit Frauen“ anbelangte.

Daß er sich in kleinem Kreis auch abfällig über führende Genossen der SED äußerte, wurde ebenfalls registriert. Man fragt sich, wie Schnitzler es fertigbrachte, trotz seiner auch im SED-Staat nicht übersehenen charakterlichen Defekte so lange als Aushängeschild der kommunistischen Diktatur in Deutschland zu agieren. Holzweißigs Werk legt die Antwort nahe: Es waren wohl „die Freunde“ im sowjetischen Geheimdienst KGB, die – wenn es ernst wurde – immer wieder ihre schützenden Hände über ihn hielten. Aus welchen Gründen auch immer.

Gunter Holz-weißig: Agitator und Bourgeois. Karl-Eduard von Schnitzler. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2019, gebunden, 112 Seiten, 5 Abb., 32 Euro