© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/19 / 15. März 2019

Der DDR ins Herz geschaut
In der Welt der Nomenklatura: Der letzte Roman des kürzlich verstorbenen Grimme-Preisträgers Peter Steinbach ist eine fesselnde Milieustudie
Carola M. Hoehne

Nach oben kommen immer die geschmeidigsten Opportunisten, in jedem System. Je ideologischer es ist, desto mehr muß der Mensch sich verbiegen. Wie sich der Druck zur Anpassung auf das Leben und die Seele des Einzelnen, ja auf eine ganze Gesellschaft auswirkt, zeigt der Schriftsteller Peter Steinbach sehr lebendig, sehr menschlich und ohne anklagenden Unterton in seinem spannenden neuen DDR-Roman „Warum ist es am Rhein so schön …“.

Als gebürtiger Sachse hatte Steinbach im Osten und Westen vielfältige Lebens- und Berufserfahrung gesammelt, bevor er 1975 Drehbuchautor wurde. Ihm verdanken wir zahlreiche Film- und TV-Ereignisse wie „Die Stunde Null“, „Deutschland im Herbst“, den Schimanski-Tatort „Blutspur“, die Adaption des Romans „Herbstmilch“ und der Tagebücher Victor Klemperers. Gemeinsam mit Edgar Reitz verfaßte er die Drehbücher für die legendäre Film-Chronik „Heimat“. Zu seinem Lebenswerk gehören auch 40 Hörspiele, darunter eine bemerkenswerte „Herr der Ringe“-Fassung und „Hell genug und trotzdem stockfinster“, das mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet wurde.

Daß auch das vorliegende Buch zunächst ein Hörspiel war, ist ein Gewinn, denn der Autor beeinflußt den Leser nicht mit kommentierenden Gedanken, sondern überläßt es ihm, aus dem Geschehen Schlüsse zu ziehen. Wie ein Fremder, der in eine Stadt kommt, wird der Leser Zeuge von Ereignissen, die sich lange vor seiner Ankunft angebahnt haben, und sieht die Menschen nur in dem kurzen Ausschnitt von hier und jetzt. Das Instrument, mit dem Steinbach die Szenen meisterhaft skizziert, ist der Dialog. Seine Stärke ist eine lebensechte Kommunikation, bei der Aussage und individueller Duktus in wenigen Sätzen Charaktere und Atmosphäre schaffen. Ob Berliner Dialekt, Jugend- oder Bonzensprache – der Autor trifft jedes Milieu. 

Die Handlung spielt 1979 in Berlin. In DDR-eigener Spießigkeit feiert der Arbeiter- und Bauernstaat gerade die Rückkehr seines ersten Kosmonauten aus dem Weltall  – und mit inszenierter Begeisterung sich selbst. Doch die vielbeschworene goldene Zukunft hat er längst verspielt. Hinter brüderlicher Fassade lauern Mißtrauen, Opportunismus und Heuchelei. 

Das Buch beleuchtet die Welt der Minister, ZK- und Akademiemitglieder, der Stasi-Größen und Parteisoldaten, für die eine Einbauküche aus dem Westen Neidobjekt ist und höchstes Ziel die Wohnung mit Parkettfußboden in einer alten Nazivilla an Havel oder Müggelsee. Doch es gibt auch Aufrichtige und Loyale, die weiter an die propagierten Ideale glauben. Solche, für die Zweifel Verrat wäre, oder jene, die unbeirrt auf die Verwirklichung der sozialistischen Idee pochen und dafür eingeschüchtert und bekämpft werden. Und die Harmlosen, die doch nur mal raus wollen – keineswegs für immer –, denn sie lockt nur die Möglichkeit, nicht das KaDeWe.

Im Mittelpunk steht ein Kandidat des Zentralkomitees. Im Westen gilt er als Hoffnungsträger, in den Augen des Ministers für Staatssicherheit aber als gefährliches Risiko. Zuwenig Parteisoldat, zuviel Mensch hält er seine Gedanken und Gefühle nicht in den vorgeschriebenen Grenzen. Daneben seine freimütige, unerschrockene Geliebte. Zwei Menschen, die sich – keineswegs blind für die Mängel ihres Staates – seinen Idealen verpflichtet fühlen und dennoch eine Provokation für ihn sind.

Während sie noch von einer gemeinsamen Zukunft träumen in dem einzigen Land, das für sie in Frage kommt, ist ihre Vernichtung bereits eingefädelt. Am Ende ist die DDR den Hoffnungsträger los und die Frau die Liebe ihres Lebens. Auch alle anderen Personen in ihrem Umfeld, die sich eigene Gedanken oder harmlose Träume erlauben, sind auf irgendeine Weise vernichtet, angezählt oder um ihre Ideale und ihre Zukunft betrogen. Allein für den zynischen Minister der Staatssicherheit ist die Welt wieder in Ordnung. 

Bei dieser literarischen Visite im Herzen der DDR erlebt der Leser Menschen, mit denen er sich durchaus identifizieren kann, und ihre verschiedenen Reaktionen auf diesen Staat. Da drängt sich die Frage auf, wie man sich unter solchen Umständen wohl selbst verhalten würde. Offen das Regime kritisieren und damit alles riskieren? Sich durchlavieren? In die innere Emigration gehen oder gar abhauen? Das Buch gibt keine Empfehlung, es zeigt vielmehr, daß es da, wo eine Ideologie regiert, kein aufrechtes, repressionsfreies Leben und damit keinen guten Weg geben kann.

Peter Steinbach: Warum ist es am Rhein so schön …  Roman. Arnshaugk Verlag, Neustadt an der Orla 2018, gebunden, 143 Seiten, 18 Euro