© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/19 / 15. März 2019

Knapp daneben
Konsumverzicht ist Verrat
Karl Heinzen

Viele haben für dieses Jahr eine Zinswende erwartet. Nun hat die Europäische Zentralbank (EZB) klargestellt: Es bleibt, wie es ist, und das heißt, daß Sparer, die ihr Geld auf die Bank tragen oder Staatsanleihen erwerben, nur insofern in sichere Anlagen investieren, als sie bei Kenntnis der Inflationsrate Gewißheit darüber haben, in welcher Geschwindigkeit ihr Vermögen abschmilzt. Nörgler wurden in den vergangenen Jahren nicht müde, die stark verschuldeten Staaten für diese vermeintliche Enteignung verantwortlich zu machen, weil diese eine nur dem Anschein nach unabhängige EZB die Nullzinspolitik fahren ließen, um ihre Haushaltsmittel für andere Zwecke als Sparerbeglückung ausgeben zu können. Dieser Vorwurf ist aber naiv, denn die Erweiterung finanzieller Handlungsspielräume war für Staaten noch nie ein Problem. Tatsächlich hat die Politik ein ganz anderes Ziel: Sie will einer vor sich hin alternden Bevölkerung Geiz, Phantasiearmut und Risikoscheu austreiben. Dafür ist es allerhöchste Zeit.

Früher konnten wenigstens noch die zahlreichen Nachkommen als Ausrede dienen, sparen zu wollen.

Wer spart, weiß bloß nicht, wofür er sein Geld ausgeben soll. Diesen Vorwurf müssen sich nämlich immer noch viele Menschen gefallen lassen. Sie verzichten auf die Freuden des Lebens, weil sie meinen, etwas für eine Zukunft zurücklegen zu müssen, die ihnen gleichgültig sein kann. Als es noch üblich war, Nachkommen in größerer Zahl in die Welt zu setzen, konnte man wenigstens sie als Ausrede bemühen. Über ein hübsches Sparbuch haben sich schließlich Erben stets mehr gefreut als über die sogenannten geistigen Hinterlassenschaften. Heute hingegen kann sich niemand mehr herausreden, wenn er Kaufkraft zurückhält und damit das Wirtschaftswachstum schwächt. 

Ja, es stimmt, manche Menschen sind so reich, daß sie beim besten Willen nicht so viel kaufen können, wie ihnen möglich wäre. Wer viel hat, hat aber auch viel zu verlieren. Den Streß, dem Vermögende heutzutage ausgesetzt sind, weil sie stets in der Furcht leben, in spekulative Blasen zu investieren, können Normalbürger kaum nachvollziehen. Wüßten sie darum, würden sie nicht Sozialneid, sondern Mitleid für die Reichen empfinden.