© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

Bahn frei bis Brüssel
Wahlausschuß: Über 40 Listen dürfen zum Europaparlament kandidieren
Christian Schreiber

Auch wenn das Parlament der Europäischen Union eigentlich kein „richtiges“ Parlament ist, erfreut es sich gerade bei deutschen Parteien großer Beliebtheit. Dies liegt unter anderem daran, daß die Hürden relativ niedrig sind. Um mit einer bundesweiten Liste anzutreten, braucht es lediglich 4.000 Unterstützer-Unterschriften. Bereits für 0,5 Prozent der Wählerstimmen gibt es staatliche Parteienfinanzierung, außerdem gilt bei der Europawahl keine Fünfprozenthürde. So erreichte die Satire-Truppe Die Partei um den ehemaligen Titanic-Chefredakteur Martin Sonneborn bei der vergangenen Wahl mit 0,63 Prozent bereits ein Mandat. 

Die 96 deutschen Sitze in Brüssel (und Straßburg) teilen sich 14 Parteien; neben den derzeit im Bundestag vertretenen Parteien schafften 2014 auch die Freien Wähler, die Tierschutzpartei, die ÖDP, die Piraten, die Familienpartei sowie die NPD den Einzug. Durch spätere Übertritte von einzelnen Parlamentariern haben auch die christliche Kleinstpartei Bündnis C sowie die AfD-Abspaltung Liberal-Konservative Reformer Abgeordnete in Brüssel und Straßburg.

Der Bundeswahlausschuß hat vergangene Woche 41 Listen zur Europawahl am 26. Mai zugelassen. Alle im Bundestag vertretenen Parteien gehören dazu, wobei die CSU in Bayern und die CDU in den anderen Bundesländern antritt. Bemerkenswert ist, daß der Ausschuß einige Kandidaten von zugelassenen Listen streichen mußte, da die formalen Voraussetzungen für eine Kandidatur fehlten. Mit dem Brandenburger FDP-Spitzenkandidaten Martin Lindner war dabei auch ein relativ prominenter Name. Nach internen Querelen hatte er seine Kandidatur zurückgezogen, ein Nachfolger konnte in der Kürze der Zeit nicht mehr gewählt werden. 

Die meisten der abgelehnten Listen hatten die erforderliche Zahl der Unterstützungsunterschriften nicht erreicht. Die Blaue Partei der ehemaligen AfD-Vorsitzenden Frauke Petry hatte ihre eingereichte Kandidatur kurzfristig zurückgezogen. Zu den Gründen äußerte ihr Sprecher gegenüber der Freien Presse: „Wir haben entschieden, uns auf die für uns wichtigeren Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen zu konzentrieren.“ Wie die Regionalzeitung weiter berichtet, habe die Partei offenbar nicht genug Unterstützerunterschriften bekommen. 

Geschafft hat es dagegen Petrys früherer Kontrahent, der einstige AfD-Gründer Bernd Lucke. Seine Liberal-Konservativen Reformer können antreten, obwohl auch seine bisherigen Mitstreiter und Fraktionskollegen Hans-Olaf Henkel, Bernd Kölmel, Joachim Starbatty und Ulrike Trebesius die LKR im Streit mit Lucke verlassen hatten (JF 40/18) „Die Zulassung ist ein wichtiger Schritt in Richtung Etablierung unserer Partei in der europäischen Parteilandschaft“, meinte Lucke und zeigte sich optimistisch, den Wiedereinzug zu schaffen. 

Angespornt vom Wahlerfolg in Bayern und dem guten Ergebnis in Hessen planen die Freien Wähler neben ihrer Spitzenkandidatin Ulrike Müller einen weiteren Abgeordneten nach Straßburg zu entsenden. „Die 2,3 Prozent von 2014 wollen wir nach Möglichkeit verdoppeln“, so der Bundesvorsitzende Hubert Aiwanger. Um den Wiedereinzug und den Erhalt des letzten überregionalen Mandats kämpft mit der NPD die älteste deutsche Rechtspartei. Sie zieht erneut mit ihrem ehemaligen Vorsitzenden Udo Voigt in den Wahlkampf. Konkurrenz erhält er durch „Die Rechte“ sowie die Partei „Der Dritte Weg“, der von ehemaligen NPD-Mitgliedern gegründet wurde. „Die Rechte“ nominierte als Spitzenkandidatin die wegen Holocaust-Leugnung inhaftierte 90jährige Ursula Haverbeck JF (21/18).

Ganz auf der anderen Seite des Spektrums tummeln sich außer der Linkspartei unter anderem die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die Sozialistische Gleichheitspartei, Vierte Internationale (SGP), die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) und die Ökologische Linke (ÖkoLinX). Mehrere Parteien konkurrieren miteinander um den Schwerpunkt Tierschutz, wobei die Deutsche Hundepartei ihre Kandidatur kurzfristig zurückzog. Gezielt um Senioren werben sowohl „Die Grauen“ als auch die „Grauen Panther“. 

Mit dem Bündnis für Innovation & Gerechtigkeit (BIG) wird auch eine sogenannte „Migrantenpartei“ auf dem Wahlzettel vertreten sein. Sie gilt als der türkischen Regierungspartei AKP und Recep Tayyip Erdogan nahestehend. Als in 31 Ländern vertretene Bewegung für Europa sieht sich „Volt“; der Name soll Energie assoziieren. Die politischen Ziele sind eindeutig: Alle Lösungen sollen auf EU-Ebene gefunden werden, eine gemeinsame europäische Regierung, ein föderales Europa, sind die große Vision. Ebenfalls betont gesamteuropäisch ist die Bewegung DIEM25, die vom ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis mit ins Leben gerufen wurde, der in Deutschland für Brüssel kandidiert.

Bei Umfragen liegen die Parteien, die im Regelfall zu den „Sonstigen“ gerechnet werden, bei zusammengerechnet zehn Prozent. Die Bundesregierung war mit ihrem Plan, eine Sperrklausel wieder einzuführen, gescheitert. Für eine Gesetzesänderung hätte es der Zustimmung der Grünen bedurft, die aber unter Verweis auf die Venedig-Konvention ablehnten, wonach es zwölf Monate vor einer Abstimmung keine Wahlrechtsänderung mehr geben soll.