© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

Nicht Gerechte rufen, sondern Sünder
Evangelische Kirche: In Berlin und Brandenburg will man „menschenfeindliche Ziele“ aus den Gemeinden fernhalten
Sandro Serafin

Neben dem Verfassungsschutz behandelt nun auch die Evangelische Kirche die AfD als Prüffall – wenn auch in einem etwas anderen Sinn. Das läßt sich zumindest aus einer „Handreichung“ der Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) schließen, die in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde. Gegenstand der Prüfung in diesem Fall: die politische Rechtschaffenheit von Bewerbern für das Ältestenamt (also den Kirchenvorstand). Nach dem Willen der Landeskirchenleitung um den bekanntermaßen äußerst AfD-kritischen Landesbischof Markus Dröge sollen sich die einzelnen Gemeinden damit auseinandersetzen, ob Bewerber Mitglied in einer Organisation sind, die „menschenfeindliche Ziele“ verfolgt.

Ein Passus, wonach solche Kandidaten von den Wahlen auszuschließen sind, war bereits 2013 in die landeskirchliche „Grundordnung“ aufgenommen worden. Die Handreichung, die laut Dröge bereits drei Jahre alt ist und nun aktualisiert wurde, soll diese „Extremismusklausel“ im Vorfeld der im November anstehenden Wahlen zu den Gemeindeleitungen konkretisieren. Es ist nicht der erste kirchliche Leitfaden zum Umgang mit rechten Kräften: Zu Beginn des Jahres hatte etwa die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau eine „Orientierungshilfe für Kirchenvorstände zum Umgang mit Rechtspopulismus“ herausgegeben, die die Frage des Wahlausschlusses ebenfalls anreißt.

Das fünfseitige Papier der EKBO definiert zunächst abstrakt unter Rückgriff auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz solche Worte und Taten als „menschenfeindlich“, die Menschen etwa aus ethnischen oder religiösen Gründen herabwürdigen. Zur Frage, welche Organisationen damit als menschenfeindlich einzustufen sind, verweist die Kirchenleitung auf die Verfassungsschutzberichte sowie „Rat und Hilfe“ privater Initiativen wie etwa des „Bündnisses für ein weltoffenes und tolerantes Berlin“ – und wird dann aber auch selbst konkret.

Wer sich etwa im Umfeld der rechtsextremen Parteien NPD oder Der Dritte Weg bewegt, soll automatisch die Befähigung zum Ältestenamt verlieren. Das gleiche gilt auch für Anhänger der Identitären Bewegung oder der sogenannten Reichsbürger-Szene. Die Kritik an der Asylpolitik habe bei diesen Gruppen „einen rassistischen Kern“, heißt es zur Begründung. Für eine Aberkennung der Wählbarkeit soll schon „das Bereitstellen von privaten Veranstaltungsräumen“ oder „Kuchenbacken für Parteiveranstaltungen“ ausreichen.

Im Umgang mit der AfD tut sich die EKBO deutlich schwerer, erklärt sie doch selbst, daß eine Aberkennung der Wählbarkeit „nur unter engen Voraussetzungen möglich“ sei. Aus den geschriebenen Programmpunkten der Partei lasse sich eine Verfolgung menschenfeindicher Ziele jedoch „nicht belegen“. Allerdings gebe es Äußerungen von Funktionsträgern, die als menschenfeindlich einzuordnen seien. Daher müsse die Wählbarkeit von AfD-Mitgliedern und -Sympathisanten „im Einzelfall“ geprüft werden. Gleiches gelte für Pegida und „asylfeindliche Initiativen“. Auch wer sich etwa in Zeitungskommentaren gegen Menschengruppen wende und zu Haß aufstachele, könne nicht für das Ältestenamt geeignet sein.

Hat der lokale Gemeindekirchenrat solche verdächtigen „Prüffälle“ identifiziert, soll zunächst das Gespräch gesucht werden. Anschließend seien alle Argumente für und gegen den Ausschluß „gut zu dokumentieren“. Sollte danach Ratlosigkeit herrschen, steht ein Beauftragter „zum Umgang mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ zur Hilfe bereit. Er kann auch „externe Kompetenz“ einbinden. Dabei kann es der Kirchenleitung offenbar gar nicht schnell genug gehen: Bei „sich abzeichnenden Kandidaturen“ möglicherweise als „menschenfeindlich“ einzuordnender Mitglieder soll die Erklärung der Kandidatur gar nicht erst abgewartet, sondern schon im voraus beraten werden.

Kritik als „polemisch“ zurückgewiesen

Kritiker sehen in der Handreichung eine Anleitung zur „Gesinnungsschnüffelei“, wie es AfD-Parteichef Jörg Meuthen ausdrückte. Ein Parteikollege spricht gar von „Kirchen-Stasi“. In der EKBO sieht man sich dagegen auf der richtigen Seite der Geschichte – und gerade im Gegensatz zu totalitären Systemen. Die Kirche handle „rechtzeitig aus Verantwortung gegenüber ihrer eigenen Vergangenheit der 1930er Jahre in dem Wissen darum, daß die Gleichschaltung der Kirchen und die ideologische Ausrichtung zentral über die Besetzung gemeindeleitender Ämter geschah“, schreibt ein Pfarrer in einem Beitrag, den die EKBO via Twitter verbreitete. Landesbischof Dröge wies die Kritik als „sinnentstellend“ und „polemisch“ zurück. Gemeinden seien grundsätzlich verpflichtet, die Zulassung von Bewerbern zur Wahl zu prüfen. Im übrigen werde der Ratgeber „sehr gut angenommen“. 

Fraglich bleibt indes, warum die Handreichung mögliche linksextremistische Umtriebe in Kirchenkreisen mit keinem Wort erwähnt, wie neben Meuthen auch die Zeitung B.Z.  kritisch anmerkte. Dies liege daran, daß „keine aktuellen Anfragen“ aus den Gemeinden zu Personen oder Gruppierungen aus diesem Milieu vorlägen, versuchte Dröge sich zu rechtfertigen. Manch einer könnte das gerade als Bestätigung der Annahme lesen, daß die Kirche auf dem linken Auge blind sei.