© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Appetit auf Politik
Paul Rosen

Na bitte, es geht doch. Der Bundestag hat auf dem Weg in die digitale Welt einen großen Schritt gemacht. Und das schon, ehe die auf Druck von Vizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) diskutierten Maßnahmen wie Auftritte des Parlaments auf Facebook und Instagram beschlossen wurden (JF 11/19). Die Verwaltung des Bundestages hat nun eine neue Anwendungssoftware, kurz App, entwickeln lassen. Wer sie auf seinem Smartphone installiert hat und antippt, ist sofort drin in der laufenden Debatte des Parlaments, kann die Reden direkt als Video verfolgen. 

Und noch mehr: Interessenten können sich mit einer Weckfunktion an den nächsten Debattentag erinnern lassen, finden nachrichtliche Texte über vergangene Plenarsitzungen, wo auch ein Zugriff auf die Original-Dokumente geboten wird, die man sich gleich als PDF-Dokument herunterladen kann. Außerdem ist mit der App ein Zugriff auf die Biographien und Fotos aller Abgeordneten – von Michael von Abercron (CDU) bis Pia Zimmermann (Linke) möglich. Eine weitere Funktion verweist auf die Bundestagsausschüsse, deren Mitglieder und die Debatten aus den Sitzungen. Die Liste der Mitglieder zeigt noch Verbesserungsbedarf; so wird die alphabetische Reihenfolge manchmal nicht eingehalten. 

Den Zuschlag zur Entwicklung der Software erhielt die tschechische Firma Ackee. Das heißt nicht, daß die Bundestags-App aus Prag kommt. Das Unternehmen hat eine Filiale im Berliner Stadtteil Schöneberg im „Space Shack Coworking“, wo die Mitarbeiter nicht nur für den Bundestag, sondern auch den Essenlieferanten „Delivero Hero“ digital tätig waren oder sind. Die europaweite Ausschreibung soll Vorteile mit sich bringen: Ackee berichtet, man habe sich von der von einem anderen Unternehmen betreuten Internetseite des Bundestages (www.bundestag.de) abgekoppelt, was angeblich die App stabiler laufen lasse und Abstürze verhindern soll.  

Für die Entwickler war die Arbeit für den Bundestag Neuland. Voller Stolz berichten sie: „Wir haben dabei die Atmosphäre und Kultur des politischen Berlins geschnuppert sowie einen tiefen Einblick in die Website und die Richtlinien des Bundestags gewonnen. Damit haben wir das gemeinsame Ziel erreicht: eine moderne App, die dennoch dem seriösen Charakter des deutschen Verfassungsorgans entspricht.“

Zur Entwicklung heißt es: „Die App beinhaltet wirklich eine riesige Datenmenge. Wir haben die gesamte Informationshierarchie so vereinfacht, daß die Nutzer jetzt ganz leicht nach bestimmten Informationen über das Parlament und seine Mitglieder suchen können. Die Kernfunktion der App ist die Liveübertragung von Plenar- und Ausschußsitzungen mit laufend aktualisierter Tagesordnung.“

An der Spree entstehe für technologische Firmen und Start-ups ein „neues europäisches Silicon Valley“, hofft man bei Ackee. Tatsächlich ist Berlin zu Deutschlands Digitalhauptstadt gewählt worden. Freies W-LAN muß man allerdings immer noch suchen, was die Nutzung der Bundestags-App leider erschwert.