© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

Grüße aus Wien
Nicht immer lebenswert
Michael Link

Wenn das kein Grund zum Feiern ist – eigentlich sogar ein doppelter: Einmal mehr ist Wien zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt worden – zum zehntenmal in Folge.

Insgesamt wurden bei der Studie der US-amerikanischen Beratungsfirma Mercer 231 Städte der Welt beurteilt, wobei die irakische Hauptstadt Bagdad das Schlußlicht bildet. Das Podest mit unserer Bundeshauptstadt teilen sich Zürich und München.

Ich gebe zu: Das große Thema in unserer Stadt ist auch am Tag nach der Verkündigung diese Top-Plazierung nicht. Statt dessen granteln viele Leute auf den Straßen oder im Supermarkt – heute einschließlich meiner Wenigkeit – unvermindert vor sich hin, dabei sollten sie allen Grund zum Strahlen haben: Immerhin bedeutet das Ergebnis der Mercer-Studie wohl eine Auszeichnung, waren doch 39 Kriterien, darunter der Wohnungsmarkt, die politische Stabilität, die Kriminalitätsrate, Freitzeitmöglichkeiten oder die Luftverschmutzung, beurteilt worden.

In den vergangenen drei Tagen kam es zu drei Messerattacken mit mehreren Verletzten.

Ich zweifle nicht daran, daß Wien in manchen dieser Kriterien vergleichsweise zu Recht gut und zumindest zu Recht weit vor Bagdad, Bangui und Sanaa abschneidet, und ich sehe für mich persönlich die Vorzüge, in Wien zu leben. Aber ist Wien deshalb dauerhaft unübertroffen?

Sind wir Wiener dazu noch notorisch unzufrieden? Gar undankbar? Gut möglich. Jedenfalls läßt der traditionelle Hang zum Morbiden, den die Wiener sich selbst gerne nachsagen, kein kollektives Sonnengemüt vermuten.

Doch halt: Plötzlich lese ich, daß die Datenerhebung und -auswertung nicht transparent sei und das Unternehmen in diesem Report keine verifizierbaren Daten zur Verfügung stelle. Bekannt sei, daß weder Einheimische noch Touristen befragt wurden, sondern Menschen, die von ihren Firmen ins Ausland entsandt werden, offenbar überproportional viele Manager.

Würde ich dennoch Stolz oder helle Freude über das Ergebnis dieser Studie empfinden, wären diese durch zwei weitere Meldungen gehörig getrübt: In den vergangenen drei Tagen kam es in Wien zu drei Messerattacken mit mehreren Verletzten. Zudem tobt ein heftiger Streit zwischen der Stadt Wien und der Bundesregierung aufgrund der Reform der Sozialhilfe. Laut Koalition aus Volkspartei (ÖVP) und Freiheitlichen (FPÖ) ist sie notwendig. Die rot-grüne Stadtregierung geißelt indessen den Sozialabbau.