© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

„Unsere ganze Welt hat sich geändert“
Neuseeland: Massaker in zwei Moscheen von Christchurch
Marc Zoellner

Die Reaktion folgte prompt, und das von unerwarteter Seite: „Unsere ganze Welt hat sich geändert, jetzt werden sich auch einige unserer Gesetze ändern“, erklärte Außenminister Winston Peters am Montag in Wellington. Das überraschte, denn der 73jährige Sohn eines Maori und einer Schottin ist zugleich Parteichef von „Neuseeland zuerst“. NZ First regiert seit Herbst 2017 zusammen mit Labour unter Duldung der Grünen. Und in diesem Bündnis agierte Peters als Verteidiger der heimischen Waffenhändler und -besitzer. Doch seit dem blutigen Anschlag vom vergangenen Freitag, bei welchem ein australischer Extremist fünfzig Menschen ermordete, wird die Regierung zu einer rigiden Verschärfung des Waffenrechts gedrängt. „Wir machen noch einmal sehr deutlich, daß wir gegen Terrorismus in jeglicher Form und daß wir eine freie und offene Gesellschaft sind“, mahnte der gelernte Jurist.

Ausschlaggebend für Peters’ Einlenken war der leichte Zugriff auf jene fünf zum Teil halbautomatischen Waffen, mit welchen Brenton Tarrant vergangenen Freitag in der 388.00 Einwohner-Stadt Christchurch (Maori: Otautahi) auf der Südinsel Neuseelands in zwei Moscheen stürmte und ein Blutbad unter den zum Gebet versammelten Muslimen anrichtete. Die Gewehre für seinen Amoklauf hatte er sich über das Internet bestellt; von einem Waffenhändler aus demselben Ort, und das vollkommen legal: In Neuseeland darf bislang jeder ab 16, der zwei Leumundsbürgen aufbringen kann, Schußwaffen erwerben. Den dazugehörigen Waffenschein erhielt der 28jährige  schon im November 2017.

Halbautomatische Waffen problemlos zu erwerben

Nur etwa 7.000 der 4,95 Millionen Einwohner Neuseelands sind derzeit als Besitzer halbautomatischer Waffen registriert. Ihre Zahl dürfte diese Woche jedoch sprunghaft angestiegen sein. „Innerhalb von zehn Tagen nach diesem schrecklichen Terrorakt“, hatte Premierministerin Jacinda Ardern am Samstag versprochen, „werden wir Reformen ankündigen, von denen ich denke, daß sie uns Neuseeländer sicherer machen.“ „Panikkäufe“ vermeldeten Waffenhändler in Christchurch und Auckland nur wenige Stunden später auf ihren Netzseiten und sprachen von extrem erhöhter Nachfrage speziell an halbautomatischen Gewehren, die in Neuseeland traditionell zur Jagd verwendet werden.

Um die globale Sicherheit seiner Bürger besorgt zeigt sich auch Peters’ Ministerium, das seine Reisewarnungen für Auslandsvisiten verschärfte: Grund dafür waren Videoaufzeichnungen Tarrants, der seine Morde live ins Internet übertrug, wo diese millionenfache Verbreitung erfuhren. „In den ersten 24 Stunden haben wir weltweit 1,5 Millionen Videos des Angriffs entfernt“, twitterte die neuseeländische Facebook-Sprecherin Mia Garlick. „Aus Respekt vor den Menschen, die von dieser Tragödie betroffen sind sowie aufgrund der Bedenken der örtlichen Behörden werden wir auch sämtliche bearbeitete Versionen dieses Videos entfernen, selbst wenn diese keine drastischen Inhalte zeigen.“

Ein Student aus Christchurch muß sich bereits jetzt vor Gericht verantworten. Er hatte Tarrants Livemitschnitte des Anschlags auf seiner Facebook-Seite geteilt; zuzüglich des Fotos einer der beiden betroffenen Moscheen, welches der 18jährige mit der Aufschrift „Ziel erreicht“ versah. Ihn erwarten laut Staatsanwaltschaft bis zu 14 Jahre Haft. Zu den Videoverteilern gehörte am Wochenende auch Recep Tayyip Erdogan – der daraufhin von der neuseeländischen Regierung hart kritisiert wurde.

Während einer im Fernsehen übertragenen Massenveranstaltung zur Kommunalwahl in der Türkei, die für den 31. März dieses Jahres angesetzt ist, hatte der türkische Präsident so die Islamfeindlichkeit vieler westlicher Gesellschaften am Beispiel des Anschlags anprangern wollen. „Ich habe dem Vizepräsidenten und dem Außenminister der Türkei letzte Nacht erklärt, daß jegliches dieser Art, was unser Land falsch darstellt – denn der Schütze war kein neuseeländischer Staatsbürger –, die Zukunft und die Sicherheit der Neuseeländer hierzulande sowie im Ausland gefährdet und absolut ungerechtfertigt ist“, distanzierte sich Peters vor der Presse von Erdogans Aussagen.

Noch immer kämpfen die Neuseeländer damit, ihre Wut und Trauer ob dieses brutalen Terroraktes zu verarbeiten. Einzig Brendon Tarrant, der derzeit abgeschirmt von den anderen Häftlingen rund um die Uhr überwacht in einem Hochsicherheitsgefängnis einsitzt, nutzte bereits seine erste öffentliche Anhörung vom vergangenen Samstag, um sich selbst zu inszenieren. Siegesgewiß formte er mit der rechten Hand vor den Kameras der anwesenden Journalisten das „White Power“-Zeichen der US-Rechtsextremistenszene.

Seinen Pflichtverteidiger Richard Peters entließ Tarrant kurze Zeit später, um sich künftig selbst zu verteidigen, wie Peters dem New Zealand Herald am Montag bestätigte. „Er schien durchaus bei klarem Verstand“, berichtete der Anwalt über sein Zusammentreffen mit dem australischen Amokschützen. „Er schien nicht mit Problemen konfrontiert oder geistig beeinträchtigt zu sein, abgesehen davon, daß er ziemlich extreme Ansichten vertrat.“ Und reichlich verworrene. So findet sich in Tarrants unmittelbar vor dem Terrorakt veröffentlichten angeblich rechten „Manifest“ das Bekenntnis zu einem kommunistischen Staat: „Die Nation, die meinen politischen und sozialen Werten am allernächsten steht, ist die Volksrepublik China.“ In jüngeren Jahren sei er Kommunist und später Anarchist gewesen, heute „Öko-Faschist“. Ob er ein „Rechter“ oder ein „Linker“ sei, hänge je „von der Definition ab“. Weder sei er ein Trump-Unterstützer noch ein Konservativer („Der Konservatismus ist tot“), die Marktwirtschaft, von ihm als „Kapitalismus“ bezeichnet, lehne er ab, und den USA wünsche er Destabilisierung und den inneren Zerfall.

Der nächste Gerichtstermin wurde für den 5. April einberufen. Und nicht nur neuseeländische Beobachter befürchten, mit seiner Selbstverteidigung könne Tarrant den laufenden Prozeß als politische Show mißbrauchen – so wie einst der norwegische Massenmörder Anders Behring Breivik, nach Selbstbekunden das große politische Idol des Amokläufers von Christchurch.