© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

Christchurch, Utrecht und dann?
Niederlande: Bei einem Angriff in einer Straßenbahn sterben drei Personen, fünf werden verletzt / Polizei spricht von möglichem terroristischen Motiv
Mina Buts

Bei einem Anschlag in der niederländischen Stadt Utrecht wurden am Montag vormittag um 10.45 Uhr drei Menschen getötet und fünf teils lebensgefährlich verletzt. Der Täter, mutmaßlich der 37jährige in der Türkei geborene Gökmen T., schoß in einer Straßenbahn auf die Fahrgäste, konnte fliehen und wurde erst am Nachmittag verhaftet.

Bis dahin herrschte aus Angst vor weiteren Angriffen Ausnahmezustand. Schulen, Kindergärten und die Universität wurden geschlossen, der öffentliche Personennahverkehr eingestellt, die Einwohner aufgefordert, ihre Wohnungen nicht zu verlassen. Am späten Montag­nachmittag wurde T. in einer Wohnung in der nördlichen Innenstadt von Utrecht überwältigt.

Augenzeugen berichteten, bei der Schießerei in der Straßenbahn habe eine Frau gerufen: „Ich habe nichts getan.“ Sie sei von vier Männern unter „Allahu Akbar“-Rufen überwältigt und niedergerungen worden und zählt offenbar zu den Todesopfern. Bei den beiden anderen Todesopfern handelt es sich um ein 19jähriges Mädchen, das Erste Hilfe leisten wollte, und einen dreifachen Familienvater und Fußballtrainer.

Der niederländische Minsterpräsident  Mark Rutte sprach von einem Anschlag. Am Dienstag teilte die Polizei mit, daß sie einen Brief im Auto von T. gefunden habe, der Hinweise auf ein terroristisches Motiv gebe. Andere Motive seien aber nicht ausgeschlossen.

Einhellig verurteilten alle niederländischen Parteien den Anschlag und unterbrachen mit Ausnahme des „Forums für Demokratie“ den Wahlkampf für die zwei Tage später stattfindenden Wahlen. Der Vorsitzende der Migrationspartei DENK Tunahan Kuzu forderte dazu auf, „Ruhe zu bewahren und wachsam zu bleiben“. Geert Wilders (PVV) stellte per Twitter die Frage, wie jemand mit so einem Vorstrafenregister frei herumlaufen könne und mit einer Waffe in der Hand unschuldige Menschen in der Straßenbahn töten könne: „Erklär das mal, Rutte.“

Schon 2011 ist T. als „Haßdemokrat“ bekannt geworden, als er bei einer eher satirisch gemeinten Umfrage des Blogs „Geenstijl“, wer denn für das schlechte Wetter in den Niederlanden verantwortlich sei, die Moderatorin als „Schlampe“, deren „Arsch offen stünde“ beleidigte, die bestimmt auch noch „Demokratin“ sei. In den letzten sieben Jahren wurde T. mehrfach verurteilt, 2013 wegen versuchten Totschlags. Danach folgten Diebstähle, Vandalismus und die Vergewaltigung seiner Ex-Freundin. Für die Vergewaltigung stand er vor zwei Wochen vor Gericht.

Die Meldung der türkischen BBC, Gökmen T. habe in Tschetschenien gekämpft und sich später dem IS angeschlossen, entpuppte sich als Verwechslung: Es handelte sich um den ebenfalls am Montag in den Niederlanden verhafteten Bruder von Gökmen, Bilal, der als radikalisiert gilt.

Unterdessen kündigte der türkische Ministerpräsident Recep Erdogan laut der Nachrichtenagentur Anadolu eigene Untersuchungen an. „Manche sagen, es handele sich um eine Familienangelegenheit. Andere sagen, es sei ein Terrorakt. Unser Geheimdienst geht dem Fall nach.“ Am Tag zuvor hatte Erdogan im Wahlkampf einen Auschschnitt des Videos vom Terrorangriff auf Moslems in Christchurch (siehe oben) gezeigt.

Der niederländische Justizminister Ferdinand Grapperhaus hält es nicht für ausgeschlossen, daß es neben T. noch weitere Täter gibt. Augenzeugen berichteten von vier Männern, die in vier Richtungen davongerannt seien.