© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

Schuldig bei Verdacht
Restitution von Kunst aus Kolonialzeiten: Oft stehen dahinter handfeste politische Interessen
Thorsten Hinz

Die Kulturminister von Bund und Ländern haben sich vergangene Woche auf Eckpunkte im Umgang mit Kolonialobjekten geeinigt. Sie wollen sich „der historischen Verantwortung im Zusammenhang mit dem deutschen Kolonialismus und der Verantwortung (stellen), die sich aus von kolonialem Denken geprägten Handlungen ergeben hat“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte gehöre zum demokratischen Grundkonsens. „Eine wichtige Rolle nehmen dabei all jene Einrichtungen ein, die Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten bewahren.“ Die entsprechenden Bestände in Museen und Instituten, so muß man das wohl verstehen, könnten zur Disposition gestellt werden.

Die Minister schließen sich der vom französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron initiierten Restitutionspolitik an. In seinem Auftrag hatten die in Berlin tätige Kulturhistorikerin Bénédicte Savoy und der senegalesische Ökonom Felwine Sarr einen Bericht verfaßt, der „zu einer neuen Ethik der Beziehungen“ zwischen Frankreich und Afrika führen soll. Bereits der Titel des im November 2018 veröffentlichten Reports: „Die Restitution des afrikanischen Kulturerbes“, stellt klar, worum es geht. Grundsätzlich sollen alle Kulturgüter aus Afrika zurückgegeben werden, gleichgültig, auf welche Weise sie nach Frankreich gekommen sind. Denn es seien Geschäfte zwischen Ungleichen gewesen, die in „Unrechtskontexten“ stattgefunden hätten.

Im November 2017 hatte Macron an der Universität von Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, eine Grundsatzrede über das Verhältnis zwischen Afrika, Frankreich und Europa gehalten, in der er mit „Demut“ auf die Gastgeber zugehen wollte. Tatsächlich enthielt sie ein theatralisches Mea culpa: „Ich gehöre zu einer Generation von Franzosen, für die die Verbrechen der europäischen Kolonialisierung unbestreitbar und Teil unserer Geschichte sind.“ Innerhalb der nächsten fünf Jahre sollten die Voraussetzungen für zeitweilige oder endgültige Restitutionen des afrikanisches Erbes an Afrika geschaffen werden. Auf Twitter bekräftigte der Elysée-Palast: „Das afrikanische Erbe darf kein Gefangener europäischer Museen sein.“

Hinter der Theatralik stand freilich eine politisch-strategische Absicht. Frankreich will seinen Einfluß und seine Interessen auf dem afrikanischen Kontinent wahren und die Bindungen zu seinen selbstbewußt auftretenden ehemaligen Kolonien erneuern. Daher das Angebot an die französischsprachigen Afrikaner: „Die Frankophonie ist ein lebendes Gebilde, das über unsere Grenzen hinausgeht und dessen Herz an einem Ort nicht weit von hier schlägt. Und ich möchte, daß Sie sich bewußt machen, (…) daß die Sprache, in der ich groß geworden bin, (…) auch Ihre Sprache ist.“ Macron setzt die Kultur ganz bewußt als politisches Instrument und als Verhandlungsmasse ein. Ob sein Konzept hundertprozentig umgesetzt wird, ist eher zweifelhaft. Die ganze Menschheitsgeschichte ist von ungleicher Machtverteilung und insofern von „Unrechtskontexten“ geprägt; eine Rückabwicklung der Geschichte würde alle Beteiligten überfordern.

Die deutsche Reaktion auf den Report von Savoy und Sarr erfolgte im Dezember 2018 durch Monika Grütters (CDU) und Michelle Müntefering (SPD) in der FAZ. Grütters ist Kulturstaatsministerin im Bundeskanzleramt. Münterfering, eine gelernte Kinderpflegerin, hatte 2009 den 40 Jahre älteren, verwitweten SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering geheiratet. Mit seinem populären Namen hat sie es ins Auswärtige Amt geschafft, wo sie als Staatsministerin zuständig ist für internationale Kultur- und Bildungspolitik. Die zwei stellten die Frage: „Wie können es Museen und Sammlungen rechtfertigen, Objekte aus kolonialen Kontexten in ihren Sammlungen zu haben, deren Verbringung nach Deutschland unserem heutigen Wertesystem widerspricht?“ Die Antwort ist einfach: Indem sie die Geschichte als einen dialektischen Zusammenhang aus Kontinuität und Wandel verstehen. Nicht jeder politische oder weltanschauliche Paradigmenwechsel muß zwangsläufig einen kulturellen Bildersturm nach sich ziehen.

Grütters und Müntefering aber geht es um das große Ganze, nämlich um die „historische Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit“, die über die deutschen Feuilletons hinaus in die Hörsäle, die Schulbücher und ins Fernsehprogramm hineinwirken müsse. Um die „erinnerungs- und kulturpolitische Gedächtnislücke“ zu schließen, müsse es einen „Erinnerungsort“ geben. Grütters und Müntefering beziehen sich ausdrücklich auf die Rede Macrons, unterschlagen aber die politisch-strategische Intention. Das ist der Unterschied zwischen französischen Politikern und deutschen Putzfimmel-Trinen, die es in die Politik verschlagen hat. Selbstverständlich ist ihr zwanghaftes Verhalten kein weibliches Privileg. Der damalige Außenminister Joschka Fischer legte schon 2001 auf der UN-Tagung gegen Rassismus im südafrikanischen Durban ein flammendes Bekenntnis zur deutschen Kolonialschuld ab, als andere Länder, die viel bedeutendere Kolonialgeschichten aufweisen, sich noch vornehm zurückhielten und bloß nachrangige Vertreter entsandten.

Erklärtermaßen will die deutsche Politik mit der Restitutionsdebatte „aus der Falle einer allein eurozentrischen Perspektive (herauskommen)“. In Wahrheit blickt sie durch dasselbe historische Fernrohr, nur eben vom anderen Ende. Galt die europäische Sichtweise früher als groß, universell und überlegen, so wird sie heute als universell schuldbehaftet dargestellt. Jedoch sind Gewalt und Unterdrückung kein Alleinstellungsmerkmal Europas. Die Araber haben beim Sklavenhandel fröhlich mitgemischt, und die Inkas, bevor die Spanier sie unterwarfen und ausplünderten, hatten gleichfalls besiegte Stämme ausgerottet und deren kulturelle Zeugnisse ausgelöscht. Für die kulturhistorisch unsagbar wertvollen beiden Buddha-Statuen im Tal von Bamiyan in Afghanistan, die 2001 von den Taliban gesprengt wurden, wäre der rechtzeitige Transport nach Europa oder nach Amerika die Rettung gewesen. Doch solche Überlegungen werden nicht angestellt, weil das den Schulddiskurs, der den Europäern aufgezwungen wird, relativieren und durcheinanderwirbeln würde.

Natürlich sollen „besondere Objekte, kulturell sensible Objekte, darunter menschliche Überreste, Insignien der Führung und besondere religiöse Artefakte“ an ihre Herkunftsorte zurückgeführt werden, wenn sie essentiell die Identität der indigenen Völker betreffen. Doch die Idee, Kunstwerke und Artefakte grundsätzlich dort auf- und auszustellen, wo sie entstanden sind, ist absurd und ein Ding der Unmöglichkeit. Schon innerhalb Europas würde ein Wanderzirkus entstehen, der die musealen Zusammenhänge, die inzwischen ebenfalls geschichtlich und zum Kulturerbe geworden sind, sinnlos zerreißen würde.

Der Kulturhistoriker Horst Bredekamp hat darauf hingewiesen, daß die ethnologischen Sammlungen in Deutschland im Unterschied zu anderen Ländern mit kolonialen Aspirationen gar nichts zu tun hatten. Sie seien „mit der besten deutschen Tradition überhaupt zu verbinden, das sind Leibniz, Georg Forster, die Brüder Humboldt, Adolf Bastian und eine große Zahl weiterer Forscher“. Die Grundannahme, daß Objekte nahezu immer geraubt wurden, wenn es nicht anders dokumentiert sei, sei eine „Umkehrung der Unschuldsvermutung, die mit einem modernen oder aufgeklärten Rechtssystem wenig zu tun hat“.

Solche Einwände spielen in den Überlegungen bildungsferner Politiker keine Rolle. Die Minister aus Berlin, Hamburg, Thüringen, Brandenburg und Bremen, also aus Ländern, die besonders weit links regiert werden, haben noch weitergehende Positionen proklamiert. Demnach soll die Rückgabe eher die Regel als die Ausnahme werden. Im schönsten marxistischen Slang nennen sie den Kolonialismus ein „System von Herrschafts-, Gewalt- und Ausbeutungsverhältnissen“, deren nachhaltige Spuren bis heute wirkten.

Hier gehört die Restitution zu einem gesamtgesellschaftlichen Programm, dem sich auch lautstarke Initiativgruppen wie „No Humboldt 21“ oder „Decolonize Berlin“ widmen, die gegen das geplante Humboldt-Forum im Berliner Stadtschloß und für die Umbenennung von Straßen agitieren. Für die involvierten Intellektuellen geht es um die Befestigung ihrer priesterlichen Deutungsmacht mittels Schuldtranszendenz, wobei der primäre Holocaust-Bezug auf den Kolonialismus ausgedehnt wird. Schließlich geht es um Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für ein akademisches Prekariat. Nachdem die Claims in Sachen NS-Raubkunst verteilt oder abgegrast sind, werden neue Betätigungsfelder benötigt.

Wo historische Gerechtigkeit draufsteht, stecken oft eigensüchtige Motive und politische Interessen drin. Nicht zuletzt ist die Restitutionsdebatte für die Entwicklungsländer ein Hebel, um Europa moralisch unter Druck zu setzen. Die Europäer und namentlich die Deutschen lassen sich leichtfertig darauf ein.