© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

Ein schlesischer „Ostforscher“ in Jerusalem
Fremdeln mit dem Zionismus
(dg)

Nach seiner Entlassung 1933 wanderte der Breslauer Historiker Richard Koebner (1885–1958) nach Palästina aus und wurde an der Hebräischen Universität zu Jerusalem erster Inhaber der Professur für Allgemeine Neuere Geschichte. Er gehörte damit zum Heer assimilierter bürgerlich-liberaler Juden, die seit Generationen als fest in der deutschen Kultur verwurzelt galten und die zeitlebens mit dem Zionismus fremdelten. Das Interesse des Tübinger Doktoranden Peter Tietze weckte der Experte für spätmittelalterliche deutsche Ostkolonisation durch seine heutiges Schwarz-Weiß-Denken verstörende Biographie. Tietze teilt zwar das in neueren Studien zur Ostforschung der 1920er und 1930er vermittelte falsche Bild von Koebner als opportunistischem „Assimilanten“ und polenfeindlichen „Ideologen der ostelbischen deutschen Siedlungslegenden“. Er zeigt aber andererseits, daß es gerade dessen Geschichtsbewußtsein gewesen sei, das ihn auf Distanz zum völkisch-nationalen Zionismus hielt. Wenn alle Denk- und Wertinhalte historisch wandelbar sind, so habe der für eine jüdisch-arabische, „binationale“ Union in Palästina werbende Koebner gelehrt, müsse sich auch die Gründung Israels als ein Araber ausgrenzender Nationalstaat und als „hebräisches Kultur-Ghetto“ der Selbstreflexion unterziehen (Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 1/2019). 


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