© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

„Positive Umwelteffekte“
Im Glyphosat-Streit warnt ein deutscher Agrarforscher vor monokausalen Vereinfachungen
Christoph Keller

In den USA sind gegen das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat zwischen dem 1. November 2018 und dem 1. März 2019 nicht weniger als neun Klagen eingereicht worden – pro Tag. Monsanto hat das Breitbandherbizid 1974 unter dem Namen „Round­up“ auf den Markt gebracht und damit Milliarden verdient. Doch seit 2018 gehört die US-Chemiefirma zur deutschen Bayer AG – und die sieht sich nun mit insgesamt 11.200 US-Klägern konfrontiert, die Schadensersatzansprüche gegen den Hersteller des als möglicherweise krebserregend geltenden Mittels stellen.

Studien über womöglich krebserregende Wirkungen

Auch in Europa feiern die Glyphosat-Gegner Erfolge. 2017 verlängerte die EU-Kommission die Genehmigung für den Einsatz des umstrittenen Mittels zwar bis 2022, aber erst nach monatelangen Auseinandersetzungen zwischen der Agrarlobby und Umweltschützern. Was Union und SPD 2018 dazu bewog, in ihrem Koalitionsvertrag ein Glyphosat-Verbot in Aussicht zu stellen. Und seit diesem Monat drohen dem Leverkusener Chemiekonzern weitere Unbilden: Am 7. März erklärte der Europäische Gerichtshof (EuGH/ Rechtssache T-716/14) mit Verweis auf die Århus-Verordnung (EG 1367/06) die Weigerung der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) für nichtig, ihre Studien über die womöglich krebserregende Wirkung von Glyphosat nicht öffentlich zu machen.

Noch kann Bayer allerdings auf das uneinheitliche, nicht nur negative Urteil der Wissenschaft verweisen. Denn unter Pflanzenforschern sind jene keineswegs in der Minderheit, die wie Jan Petersen (TH Bingen) dem Mittel ein Unbedenklichkeitsattest ausstellen. Zumindest was dessen Auswirkungen auf Wasserqualität und Biodiversität betrifft (Getreidemagazin, 6/18). Für Erörterungen über etwaige Gesundheitsgefahren für den Menschen fühlt sich der Professor für Acker- und Pflanzenbau, der 2004 noch Herbizidmanager bei der Kölner Firma Nufarm war, nicht zuständig.

Petersen kommentiert die leidenschaftlich ausgetragene Debatte über diesen am meisten umkämpften Aspekt des Einsatzes von Unkrautvernichtern lediglich kühl mit der Prognose, daß die deutsche Landwirtschaft „langfristig wohl ohne Glyphosat auskommen“ müsse. Und das, obwohl „auf absehbare Zeit keine Herbizidalternativen verfügbar sind, die Glyphosat ersetzen können“.

Daß Herbizide sich generell ungünstig auf die Umwelt auswirken, sei natürlich unbestreitbar, da das Mittel die meisten Pflanzen schädigen oder töten könne. Doch müsse man differenzieren. Das Problem der meisten Glyphosat-Studien sei aber, daß sie zwar Konzentrationen angeben, ab denen es für einen Organismus kritisch werde, aber einen Bezug zu realistischen Expositionen nach dem Glyphosat-Einsatz nicht herstellen. In den Zulassungsprüfungen für Pflanzenschutzmittel verfahre man anders: „Hier werden die Konzentrationen aus den ökotoxikologischen Tests mit Expositionsabschätzungen zusammengebracht und die entsprechenden Risiken analysiert.“ Auf diese Praxis beruft sich regelmäßig auch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, wenn es, wie zuletzt am 28. Februar wieder geschehen, glyphosathaltige Mittel zuläßt.

Zu Recht, wie Petersen meint. Denn trotz der auf deutschen Äckern jährlich ausgebrachten 5.000 Tonnen des Gifts, meldet die Wasserwirtschaft bislang nur „sehr geringe“ Glyphosat-Nachweise an den Meßstellen des oberflächennahen Grundwassers. So fand sich zwischen 2009 und 2012 nur in zwanzig von 2.944 Proben Glyphosat. Darunter überschritt jedoch nur eine Probe den Grenzwert von 0,1 Mikrogramm je Liter Trinkwasser. Dieses für die Agrarindustrie erfreulich helle Bild würden Untersuchungen über die Gewässerbelastungen allerdings erheblich eintrüben.

Intensivierung der Bodenbearbeitung?

So zeige ein Bericht der Bund-Länder AG Wasser, daß in Deutschland (mit 500 Meßstellen) bei etwa 40 Prozent aller untersuchten Oberflächengewässer bei Glyphosat dieser Grenzwert überschritten worden sei. Der maximale gemessene Wert lag bei 5,7 Mikrogramm. Der erreiche indes den aktuell diskutierten ökotoxikologischen Wert von 28 Mikrogramm bei weitem nicht. Folglich könnten Schäden an der Gewässerflora durch Glyphosatkonzentrationen „weitgehend ausgeschlossen werden“.

Zwischen der medial vermittelten Wahrnehmung der Umweltverträglichkeit des Unkrautvernichters und den tatsächlichen Auswirkungen klafft für Petersen auch in Sachen Biodiversität eine große Lücke. Auf den ersten Blick scheine klar zu sein, daß die pflanzliche und tierische Vielfalt abnehme, wenn man Unkräuter vergifte. „Aber was geschieht, wenn kein Glyphosat mehr eingesetzt werden darf? Gibt es dann automatisch mehr Unkräuter und Organismen, die von den Unkräutern leben? Die Antwort ist ebenso einfach wie eindeutig: Nein!“ Führe doch die infolge Glyphosat-Verzichts notwendige Intensivierung der Bodenbearbeitung bei den Unkräutern zu vergleichbaren Verlusten an Vielfalt.

Zu den beliebtesten Vorurteilen im hitzigen Glaubensstreit Pro und Contra Gift auf dem Acker gehöre die Unterstellung, in größeren Betrieben, die Glyphosat in stärkerem Maß verwenden, finde sich eine geringere Fruchtartenvielfalt als auf kleineren Höfen. Es bestehe also eine Kausalität zwischen Glyphosatverwendung und sinkender Biodiversität. Zahlreiche agrarwissenschaftliche Studien, auf die Petersen verweist, bestätigen diese simple Annahme nicht. In der Summe zeigten sie nämlich, daß Anbauverfahren mit konservierender Bodenbearbeitung inklusive Glyphosateinsatz stärkere Verunkrautung aufweisen als der traditionelle intensive Ackerbau. Der seit den 1970ern fraglos zu beobachtende Rückgang der Artenvielfalt sei daher weniger oder kaum mit Glyphosat zu erklären.

Die Ursache lasse sich vielmehr an der deutlichen Veränderung der Anbauverfahren festmachen, an der Verdichtung der Kulturpflanzenbestände, an der Vereinheitlichung der Standortbedingungen, an der Verringerung der Kulturartenvielfalt, die auf die Dominanz der heutigen „Monokulturen“ zugelaufen sei. Der Rückgang der Ackerunkrautflora habe daher im wesentlichen schon vor der deutschen Markteinführung von Glyphosat stattgefunden.

So lautet für Petersen das Fazit: Mit Ausnahme der Zurückdrängung ausdauernder Arten wie Quecke und Ackerkratzdistel, gebe es keinen Beleg dafür, den Artenschwund bei den Ackerunkräutern monokausal auf Glyphosat zurückführen zu dürfen. „In der Summe überwiegen eindeutig die positiven Glyphosataspekte“, beim Boden- und Klimaschutz sowie bei der Reduktion von Nährstoffeinträgen in Oberflächengewässer.

Getreidemagazin 6/18:  www.dlg-agrofoodmedien.de

Studienauswertung „Glyphosat und Krebs“ der Umweltschutzorganisation Global 2000:  www.bund.net





Glyphosat-Hersteller Monsanto

Glyphosat wurde 1970 von dem Chemiker John E. Franz, der seit 1955 bei der Chemiefirma Monsanto in St. Louis (Missouri) angestellt war, entdeckt. Die Phosphorverbindung wurde patentiert und Monsanto brachte den Unkrautvernichter 1973 unter dem Namen „Roundup“ auf den Markt. Glyphosat wurde der meistverkaufte und später der umstrittenste Unkrautvernich­ter der Welt. Zudem entwickelte sich Monsanto durch Zukäufe zu einem der größten Gentechnik-Saatgutkonzerne, da Glyphosat bei herbizidresistenten Ackerpflanzen besonders effektiv ist. 2018 übernahm der Bayer-Konzern Monsanto für 66 Milliarden Dollar komplett – und erbte damit anhängige Schadenersatzklagen. So sprach ein Gericht in San Francisco dem früheren Gärtner Dewayne Johnson eine 289-Millionen-Dollar-Entschädigung zu. Der 46jährige führte seine Krebserkrankung auf die „Roundup“-Verwendung zurück (JF 2/19). Der Bayer-Akienkurs brach seit der Übernahmeankündigung 2016 um 42,7 Prozent ein.

Monsanto-Informationen über Glyphosat:  www.glyphosat.de