© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

Helden können abmustern
Unnötige „Deko“ für das postnationale Selbstverständnis der bundesdeutschen Generation Habeck: Thomas Karlauf entsorgt in seiner Biographie den Hitler-Attentäter Graf von Stauffenberg als einen aus der Zeit gefallenen Vertreter überkommener Ideale von Volk und Nation
Wolfgang Müller

Mitte März, zur Präsentation seiner Biographie des Hitler-Attentäters Claus Schenk Graf von Stauffenberg, hatte sich der Literatur-agent Thomas Karlauf einen seltsamen Gast eingeladen: Robert Habeck, den Co-Vorsitzenden der Grünen. Einen Politiker, der kürzlich mit der Erkenntnis verblüffte, etwas wie „Volk“ gebe es überhaupt nicht. Und der gern globalistisch summt, daß „die Fremde“ seine Heimat sei, er „mit Deutschland nichts anfangen“ könne, ihm „Vaterland gar nichts“ bedeute, weil er „Vaterlandsliebe zum Kotzen“ finde. 

Entsprechend pampig gab sich der ungediente Obergrüne bei Karlaufs Buchvorstellung, wo er mit der Verwechslung von Korps und Chor belustigte. Ihm sei die militärische Welt halt „absolut nicht vertraut“. Und Stauffenberg habe er nie als „singulären Helden“, sondern stets als „Normalo“ wahrgenommen. Doch ungeachtet solcher Peinlichkeiten scheint Karlauf mit der Einladung des geschichtsblinden Banausen einen Glücksgriff getan zu haben. Doch dazu später. 

Eine neue Biographie Stauffenbergs war überfällig, denn reichlich Patina bedeckt die Darstellungen von Kurt Finker (1967) bis Peter Hoffmann (1992). Das gilt weniger für ihr Faktengerüst, als für dessen ideologische Aufbrezelung. Schließlich vermochten sich weder der SED-Marxist Finker noch Konservativliberale wie Hoffmann zeitgeistigen Zumutungen zu entziehen. Somit stand für Karlauf fest, daß er im Tatsächlichen seine Vorgänger nicht würde übertreffen können. Selbst wo man gerade von ihm, dem Biographen von Stauffenbergs Mentor („Stefan George. Die Entdeckung des Charisma“, 2007), Neues erwartet hätte, für die Jugend- und ersten Mannesjahre als Berufssoldat in der Reichswehr der Weimarer Republik, muß er die Quellenklage anstimmen. Da es für die Zeit bis 1933 an „authentischen Dokumenten“ mangele, lasse sich die „Haltung“ des jungen Offiziers nur über „Analogien und Indizienketten“ erschließen. Das sei zwar methodisch fragwürdig, aber vertretbar, da Stauffenberg als Typus „vermutlich“ nicht anders dachte als jeder andere in einem Offizierskorps, das einem über Generationen hinweg entwickelten Kodex unterworfen gewesen sei. 

Auf „erwünschte Vorbildfunktion“ kann heute verzichtet werden

Was Karlauf dann per Analogiebildung zutage fördert, vermittelt allerdings weder für den Lebenslauf vor noch nach 1933 neue Aufschlüsse. Spezialisten für die Geschichte des deutschen Widerstands dürften seine mit dem „Röhm-Putsch“ (1934) anhebenden Nacherzählungen der Sekundärliteratur zum ambivalenten Verhältnis zwischen Wehrmacht und NS-Regime eher langweilen. Mit ähnlich ledernen Referaten hell ausgeleuchteter Kapitel des Zweiten Weltkriegs, vor deren Kulisse der relativ am besten rekonstruierte letzte Lebensabschnitt Stauffenbergs bis zum Attentat im ostpreußischen Führerhauptquartier abrollt, füllt Karlauf leider auch die zweite Hälfte seiner Arbeit.

Originell im Rahmen der Widerstandsforschung zum 20. Juli, der wie kaum ein Tag der deutschen Geschichte „bis auf den Grund ausgelotet“, aber wie kein anderer erinnerungspolitisch überfrachtet und symbolisch aufgeladen worden sei, ist allein Karlaufs Verzicht, nach „moralischen Motivationen“ zu fragen. So befreit er sich von jenen öden „Erinnerungskonstruktionen“, die Stauffenberg und seine Mitverschwörer seit Jahrzehnten geschichtspolitisch vereinnahmen, um in Sonntagsreden ihre Tat als moralisches Kapital dem Staat des Grundgesetzes zuzuschanzen. 

Auf diese einst „erwünschte Vorbildfunktion“ beim „Aufbau einer neuen demokratischen Gesellschaft“, so ist als Cantus firmus herauszuhören, könne heute jedoch verzichtet werden, nachdem sich Stimmen wie die des britischen Historikers Richard Evans mehren, der unterkühlt urteilte, Stauffenberg tauge als Idol nicht, weil er Verächter der parlamentarischen Demokratie gewesen sei. Darüber hinaus stellt Karlauf in Abrede, was 1984 für Peter Steinbach, den ersten Leiter der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand, noch zum Ausschöpfen sinnstiftender Ressourcen des 20. Juli anregen sollte: die „moralische Rigidität“ dieses „Aufstands des Gewissens“, der aus der Abscheu über monströse NS-Untaten erwachsen sei. 

Für diese rezeptionshistorisch so ungemein wichtig gewesene volkspädagogische Konservierung des Staatsstreichs erübrigt Karlauf gerade einmal eine Fußnote. Er wolle nicht behaupten, daß „das Entsetzen über den Holocaust“ bei Männern wie Peter York von Wartenburg, Ulrich von Hassell und noch etlichen Mitstreitern „keine Rolle gespielt“ habe. Aber für Stauffenberg, der sich bis zum Herbst 1942 ohnehin im Einklang mit Adolf Hitlers Politik und Kriegführung befunden habe, sei das eben kein Grund zum Handeln gewesen. Noch seine Entwürfe für Proklamationen am „Tag danach“, die deutsche Kriegsverbrechen im Sowjetparadies immerhin antippen, erwähnen mit keinem Sterbenswort „die systematische Vernichtung der Juden“.  

Nach dem postnationalen Selbstverständnis der Bundesrepublik, das Moral autistisch mit Politik verwechselt, verstößt ein Porträt, das derart das „Amoralische“ akzentuiert, Stauffenberg als ein auf Volk, Nation und Reich fixiertes Fabeltier ins finsterste Mittelalter. Womit Karlaufs beflissene Interpretation lediglich dem Furor einer CDU-Ministerin akklamiert, die vom Bendler-Block aus, kaum fünfzig Meter entfernt von der Stelle, wo Stauffenberg mit dem „heiligen Deutschland“ auf den Lippen starb, im Frühjahr 2017 die Entfernung eines Bildes im Flur der Hamburger Hochschule der Bundeswehr verfügte, das einen Kameraden zeigte, den Oberleutnant Helmut Schmidt – im feldgrauen Rock von 1942. Die politische Klasse der Bundesrepublik kündigt dem Volk die Freundschaft und verabschiedet sich mit immer höherem Tempo von der Geschichte ihres Landes. Karlaufs Stauffenberg-Biographie sekundiert ihr dabei.  

Ethos als Offizier und als Adeliger für Karlauf ohne größeren Belang

In die „Phantasiewelten“ des selbst dichtenden Offiziers sich hineinzudenken, falle heute schwer. Selbst wenn unbestreitbar sei, daß es den Täter Stauffenberg nicht gegeben hätte ohne den Schöpfer mythischer Wolkenkuckucksheime, den Lyriker George als „geistigen Urheber“ des 20. Juli. Mehr als theatralische „Dekoration“ will Karlauf darin indes nicht sehen. Zur heute überflüssigen „Deko“ rechnet er überdies das politisch-militärische Ethos der Militäropposition, das einer „im Kern pazifistisch orientierten Gesellschaft“ so unzugänglich sei wie das elitäre Traumbild eines Adels, der sein Privatleben seit Jahrhunderten auf das Wohl des Ganzen ausrichte.

So wirklichkeitsfremd wie Karlauf, der sich als „ahnungslos gegenüber zeitgenössischen Diskursen“ (Jens Jessen in der Zeit vom 7. März) entpuppt, diese reichsdeutsche Mentalität erscheinen lassen will, war und ist sie beileibe nicht. Ohne Idealismus, den Glauben an eine Welt hinter oder über der Welt, sei es Gott, Geist, Weltgeist, kommt keine Religion aus. Auch keine säkulare Ersatzreligion, die wie der politische Ästhetizismus des George-Kreises voraussetzt, daß das „schöne Leben“ nur über die Erziehung des Einzelnen zu „hoher Menschlichkeit“ erreichbar sei, über ein anzustrebendes humanes Maximum, das sich in der Unterordnung des egoistischen Einzel- unter den Gesamtwillen verwirklicht. 

Für George wie für Stauffenberg verkörperte die Kontrastfigur hierzu die „angloamerikanische Normalameise“. Jener „schnoddrige Typ“, der, wie George klagte, „vom Ideal nichts mehr weiß“. Also Bühne frei für Robert Habeck, einen Exponenten der „entsetzlichen Generation“ Merkel & Co. (Erwin Jurtschitsch, „Achse des Guten“ vom 8. März 2019). Ihr, wimmelnd von eindimensionalen „letzten Menschen“ (Friedrich Nietzsche), die wie Habeck mit Volk, Heimat, Vaterland sowenig wie mit Stauffenberg, Preußen, Militär „anfangen“ können, hat Karlaufs Stauffenberg-Demontage ein säuisch gutes Gewissen verschafft.

Thomas Karlauf: Stauffenberg. Porträt eines Attentäters. Blessing Verlag, München 2019, gebunden, 368 Seiten, 24 Euro