© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

Frisch gepresst

Gräfin Dönhoff. Wenn ein langjähriger Mitarbeiter über seine einstige Chefredakteurin schreibt, dann ist eher eine verklärende Hagio- denn eine unparteiische Biographie zu erwarten. Tatsächlich gleitet die Arbeit, die der ehemalige Zeit-Redakteur Gunter Hofmann über Marion Gräfin Dönhoff (1909–2002) verfaßt hat, öfter in die peinliche Apologie der wohl einflußreichsten, aber politisch auch naivsten Journalistin der alten Bundesrepublik ab. Die Hekatomben falscher Lageanalysen und wurstiger Fehleinschätzungen von „Menschen, auf die es ankommt“, des Diktators Robert Mugabe etwa, spielt Hofmann larmoyant herunter. Ebenso unbefriedigend fällt der wortreiche Versuch aus, die Grande Dame der Zeit gegen seinen ehemaligen Kollegen Fritz J. Raddatz zu verteidigen, dessen Tagebücher und Memoiren aus dem Maschinenraum des Hamburger Wochenblattes berichten (JF 41/10 und JF 12/14) und ein vernichtendes Porträt der fischkalten, narzißtischen Mitherausgeberin zeichnen. Besser gelingt Hofmann die Darstellung der Geschichtspolitikerin Dönhoff, die den Abstieg der Kulturnation Deutschland zur Konsumnation dadurch glaubte aufhalten zu können, daß sie versuchte, die Politik der Bonner und Berliner „Eliten“ auf das Erbe ihrer ostpreußischen „Freunde vom 20. Juli“ und das des „geistigen Preußen“ zu verpflichten. Wie wir heute wissen, überaus ehrenwert, aber wie gewohnt naiv. (dg)

Gunter Hofmann: Marion Dönhoff. Die Gräfin, ihre Freunde und das andere Deutschland. Eine Biographie. Verlag C. H. Beck, München 2019, gebunden, 480 Seiten, Abbildungen, 28 Euro





Kriegsschuld 1914. Zum Entsetzen jener zahllosen Historiker, die einer auf nationaler Selbst­auflösung geeichten neudeutschen Geschichtsideologie und daher der letztgültigen Version der Fritz-Fischer-Schule über den von langer Hand gesteuerten Griff nach der Weltmacht anhingen, lebte spätestens 2013 mit Christopher Clarks Verkaufsschlager „Die Schlafwandler – Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog“ die Kontroverse über die Verantwortung für die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts wieder auf. Bereits zuvor hatten Historiker wie Sean McMeekin die Kriegspolitik in Sankt Petersburg oder der in England lehrende Deutsche Andreas Rose das Säbelrasseln vor 1914 an der Themse eingehend unter die Lupe genommen. Dank Clark & Co., denen zuletzt der im hiesigen Establishment fest verankerte Würzburger Zeithistoriker Rainer F. Schmidt beizupflichten wagten (JF 3/17), erscheinen jetzt wieder historisch korrekt Frankreich und Rußland als Hauptschuldige am Ersten Weltkrieg. So weit war allerdings die vom Auswärtigen Amt optimal geförderte, der Politik ihre wissenschaftlichen Maßstäbe trotzdem nicht opfernde deutsche Forschung zur „Kriegsschuldfrage“ schon in den 1920ern gekommen. Zu den wenigen kritischen Geistern des Auslandes, die ihr damals beipflichteten, gehörte der französische Verwaltungsexperte Georges Demartial, der das „Gelbbuch“ des Quai d’Orsay, eine vielfach manipulierte Sammlung diplomatischer Aktenstücke zum Kriegsausbruch, einer vernichtenden Quellenanalyse unterzogen hatte. Die deutsche, 1928 erschienene Ausgabe von Demartials Werk hat Stefan Scheil jetzt in der Hoffnung neu ediert, daß sie ihren Dienst in der von Clark entfachten, im besten Sinn revisionistischen Debatte tun möge. (ob)

Stefan Scheil (Hrsg.): Georges Demartial: Die dreiste Fälschung. Das französische Gelbbuch und die Kriegsursachen von 1914. Verlag Antaios, Schnellroda 2018, gebunden, 176 Seiten, 17 Euro